Auf nach Indien: Perspektiven für den Mittelstand
Die globale Ordnung verschiebt sich. Indien wächst und gewinnt an Gewicht. Für deutsche Mittelständler ergibt sich eine neue Chance – doch ist der Markteintritt nicht ohne Herausforderungen zu haben.
Indien ist seit 2023 das bevölkerungsreichste Land der Welt – und bekannt für die wuseligen Mega-Cities. Der deutsche Mittelstand findet hier mehr als eine Milliarde an potenziellen Kunden. Foto: Adobe Stock/Southern Stock Images
Ende Oktober in Südkorea: Donald Trump und Xi Jingping sprechen miteinander – konkrete Ergebnisse gibt es kaum, der Handelskrieg aber ist bis auf weiteres vertagt. Was allerdings (erneut) augenfällig wird: Europa und damit auch Deutschland als Wirtschaftsraum sind lediglich eine Randnotiz für die beiden Großmächte. Geschäfte mit den USA und China werden komplizierter, Verlass und Sicherheit gibt es kaum mehr – der Mittelstand ist auf der Suche nach Alternativen.
Indien fällt dabei schnell in den Blick: ein riesiges Schwellenland mit starkem Wirtschaftswachstum und einer jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung. Wie können deutsche Unternehmen in dem Vielvölkerstaat Fuß fassen?
Indien wächst:
Indien ist seit 2023 das bevölkerungsreichste Land der Welt, in dem über 1,4 Milliarden Menschen leben. Und es bleibt die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft. Laut Germany Trade & Invest (GTAI), der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Bundes, legte das Bruttoinlandsprodukt im Finanzjahr 2024/2025 um 6,5 Prozent zu. Für das aktuelle Finanzjahr erwarten einige Analysten sogar bis zu 6,8 Prozent.
„Indien ist groß, die Bevölkerung jung, Arbeitskräfte sind weiter günstig und die Kaufkraft steigt“, fasst Denny Alpert zusammen, der als German Desk in India bei der Deutschen Bank Unternehmen bei der Expansion nach Indien begleitet. „Zudem öffnet sich über Indien der Zugang zum gesamten asiatischen Markt – der Subkontinent ist also sowohl als Absatzmarkt interessant als auch als Produktions – und Distributionsstandort.“
„Indien ist also sowohl als Absatzmarkt interessant als auch als Produktions – und Distributionsstandort.“
Denny Alpert, Deutsche Bank
Eine Einschätzung, die deutsche Unternehmer teilen. Nach einer aktuellen Auswertung von KPMG und der Deutsch-Indischen Handelskammer wächst die Bedeutung Indiens als Investitionsstandort nachhaltig: 78 Prozent der befragten Unternehmen planen bis 2029 neue Investitionen, das entspricht einem Plus von 19 Prozentpunkten gegenüber 2024. Der Report zeigt auch, welche Faktoren aus Sicht des Mittelstands für Indien sprechen: niedrige Arbeitskosten, politische Stabilität und qualifizierte Fachkräfte geben für jeweils rund die Hälfte der Befragten den Ausschlag.
Der Markteintritt in Indien ist allerdings kein Selbstläufer. Zwar werden vor Ort Weichen gestellt: Seit den 1990er Jahren öffnet sich das Land für ausländisches Kapital – so wurde das Foreign Direct Investment Policy Framework stetig gelockert und die Joint-Venture-Pflicht abgeschafft. Die Regierung von Narendra Modi ist seit 2014 im Amt, damit geht eine Stabilität einher, die zur Eindämmung von Korruption beiträgt. „Die Effekte sind deutlich spürbar“, bestätigt Denny Alpert. Und auch wenn Indien nach Alperts Einschätzung in seiner Liebe zur Bürokratie durchaus mit Deutschland mithalten kann, wird dort stetig und schnell digitalisiert.
Dennoch: „Ich würde keinem Unternehmer raten, es auf eigene Faust in Indien zu probieren“, unterstreicht Alpert. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen mögen Bürokratie und Regulatorik vereinfacht werden, dennoch bleiben Hürden. Die Europäische Union und Indien verhandeln weiter ergebnislos über ein Freihandelsabkommen. Man geht von einer baldigen Einigung aus, Zollsenkungen wären dann aber auch „nur ein Baustein für tiefere Wirtschaftsbeziehungen“, erklärt das GTAI und ergänzt: „Insbesondere nicht tarifäre Handelshemmnisse sind für deutsche Unternehmen herausfordernd, allen voran die indischen Standards in Form der Quality Control Orders des Bureau of Indian Standards“. Diese verbindlichen staatlichen Vorschriften legen beispielsweise fest, dass nur Produkte in Indien hergestellt werden dürfen, die bestimmten Normen entsprechen.
Zum anderen gibt es kulturelle Unterschiede. Das Zeitempfinden ist in Indien ein anderes, berichtet Denny Alpert – und Zeitmanagement ist generell ein herausforderndes Thema. Hier zeigt sich auch die Kehrseite der Medaille des indischen Bevölkerungsreichtums und der hohen Dichte gut ausgebildeter junger Menschen: Der Druck auf jeden Einzelnen ist unglaublich hoch. Angestellte sind sich des Wettbewerbs mit ebenso gut qualifizierten Anderen bewusst. Das führt dazu, dass die Antwort auf beinahe jede Frage „Ja“ lautet – ungeachtet der Tatsache, dass bestimmte Aufgaben ihre Zeit benötigen oder Dinge schlicht nicht umsetzbar sind. Die Konsequenz: Vorgesetzte, die sich auf die Auskunft ihrer Angestellten nicht verlassen können, mit zu ambitionierten Deadlines planen und damit ihr Geschäft gefährden. „Zeitliche Einschätzungen sind mit Vorsicht zu genießen“, betont Alpert. „Nein-Sagen ist noch längst nicht normal, besonders nicht auf der Arbeitsebene. Hier ist interkultureller Austausch essentiell“
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Markteintritt in Indien – es braucht die richtigen Partner:
Um die Potenziale Indiens trotzdem nutzen zu können, braucht es verlässliche Partner, eine gute Vorbereitung und Verständnis für Markt wie Kultur. Damit Gründung, Kontoeröffnung und das Überwinden der bürokratischen Hürden gelingen, sollte der Unternehmer einen Finanzierungspartner wählen, der Dependancen in Indien hat und den Markt kennt. Zudem braucht es einen versierten Rechtsberater, im Idealfall ebenso mit Büro vor Ort. Denny Alpert unterstützt für die Deutsche Bank in der Regel zehn bis zwanzig Kunden monatlich bei der Expansion nach Indien.
Mit der Bank allein ist es nicht getan, die gesamte Organisation braucht Unterstützung für die Indien-Pläne. „Die Komplexität der indischen Jurisdiktion, sowohl unter rechtlichen als auch unter steuerlichen Gesichtspunkten, kann den deutschen Mittelstand durchaus überraschen“, berichtet Rahul Oza, der bei Rödl&Partner das Indiengeschäft betreut. Eine strukturierte Herangehensweise an den Markteintritt, angemessene Berücksichtigung regionaler Besonderheiten des föderal organisierten Landes und auch branchenspezifischer Regulatorik, ist laut dem Experten unabdingbar. „Dienstleister im Bereich Recht, Steuern, Finanzen und HR sind unerlässlich und sollten gut aufeinander abgestimmt sein“, unterstreicht Oza. „Eine durch gute Beratung vorbereitete Investition in Indien ist eine Säule des erfolgreichen Markteintritts.“
„Die Komplexität der indischen Jurisdiktion kann den deutschen Mittelstand durchaus überraschen“
Rahul Oza, Rödl&Partner
Der Unternehmer sollte sich ausreichend auf den indischen Markt vorbereiten. Es ist sinnvoll, die eigenen Produkte zunächst über Dritte vor Ort anzubieten und die Nachfrage zu testen. Es hilft, jemanden im Land zu kennen oder sich mit einem anderen Geschäftsführer auszutauschen, der die Expansion nach Indien bereits gestemmt hat. Wichtig ist zudem, sich ausreichend mit der schieren Fläche Indiens auseinanderzusetzen und den richtigen Standort zu wählen.
Die verschiedenen Bundesstaaten bieten komplett unterschiedliche Rahmenbedingungen. Mega-Cities wie Pune oder Chennai sind höchst interessant für das produzierende Gewerbe, ebenso Bangalore. Sie bieten eine gute Infrastruktur, haben Zugang zu den Häfen. Das gilt ebenso für Mumbai, wobei die Metropole langsam an Platzgrenzen stößt. Bangalore und Delhi wiederum sind ideale Areale für den Dienstleistungssektor. Andere Regionen wie Uttar Pradesh sind zwar bevölkerungsstark, tragen aber kaum zur indischen Wertschöpfung bei, sie hinken hinterher. Auch attraktiv: Die einzelnen Bundesstaaten werben um Unternehmen – viele locken mit Vergünstigungen bei Steuern oder Energiekosten.
Förderung für den Markteintritt in Indien gibt es auch von deutscher Seite – zum Beispiel von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), einer Tochter der KfW, die Unternehmen in Schwellenmärkten finanziert und berät und auch verschiedene Fördertöpfe für Unternehmen bereithält. Anne Kirschbaum, Senior Investment Managerin für das deutsche Geschäft bei der DEG, beobachtet ein zunehmendes Interesse deutscher Mittelständler an Indien, die ihre Lieferketten diversifizieren oder neue Absatzmärkte erschließen möchten.
Diese Unternehmen können sich bei der DEG Hilfe holen. „Wir unterstützen deutsche Unternehmen mit langfristigen Finanzierungen in Emerging Markets auf vielfältige Weise“, berichtet Kirschbaum und verweist auf das Förderprogramm ImpactConnect. Dieses richtet sich an deutsche Mittelständler und Familienunternehmen mit entwicklungswirksamen Investitionsvorhaben in Entwicklungs- und Schwellenländern.
„Wir unterstützen deutsche Unternehmen mit langfristigen Finanzierungen in Emerging Markets auf vielfältige Weise“
Anne Kirschbaum, DEG
„ImpactConnect bietet Zugang zu attraktiven, in der Regel unbesicherten und langfristigen Darlehen an die Tochtergesellschaften – das erleichtert den Markteintritt und die Planungssicherheit“, erklärt Kirschbaum. Darüber hinaus gibt es bei der DEG Programme wie die Business Support Services, die gezielt bei ESG-Themen, Due Diligence oder Impact-Messung unterstützen. „Der Zugang gelingt über eine direkte Kontaktaufnahme mit uns – idealerweise mit einem klaren Projektansatz und Entwicklungsbezug“, erläutert die Expertin. „Die DEG prüft dann individuell, wie sie unterstützen kann – sei es mit Finanzierung, Know-how oder Netzwerk.“
Kurzum: Indien ist hochattraktiv. Wer gut vorbereitet, informiert und mit den richtigen Partnern aufbricht, für den birgt das Riesenland branchenunabhängig große Chancen. Wer den Subkontinent aber nur als schnellen Ersatz für China begreift, wird zügig an seine Grenzen stoßen. Der indische Markt verlangt Anpassungsfähigkeit, Verständnis für die speziellen Gegebenheiten und Geduld. Wer sich ernsthaft mit Indien auseinandersetzen möchte, für den ist jetzt der Moment, den Blick zu wagen – mit offenen Augen.
11/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.