25. März 2022

Perle Working Capital

In vielen Branchen hat der „Just-in-time“-Ansatz im Einkauf ausgedient. Das Treasury sollte sich deshalb stärker als bisher mit der Working-Capital-Finanzierung befassen – und den eigenen Instrumentenkasten ausweiten. Dieser Artikel wurde in der Print-Ausgabe von DerTreasurer als Gastbeitrag von Michael Dietz am 25. März 2022 erstmalig veröffentlicht.

Von Michael Dietz

Fehlende Mikrochips und Bauteile, teurer werdende Rohstoffe und explodierende Energiepreise: Die deutsche Wirtschaft steht vor herausfordernden Monaten. Allein die Lieferengpässe könnten die industrielle Wertschöpfung 2022 um mehr als 50 Milliarden Euro ausbremsen, warnte jüngst der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Dieser Ausblick verstärkt einen Trend, den wir bereits seit Ausbruch der Coronakrise beobachten: Lieferketten krisenfest zu gestalten, genießt inzwischen höchste Priorität. Bisher haben viele Firmen so eingekauft, dass Vorprodukte möglichst zu dem Zeitpunkt geliefert werden, an dem sie auch tatsächlich für Kundenaufträge benötigt werden. Nun kehren immer mehr Unternehmen von diesem „Just-in-time“-Ansatz ab, der in der Pandemie zu erheblichen Problemen geführt hat. Stattdessen wird auf Vorrat gekauft – „Just-in-case“.

„Unternehmen könnten SCF-Programme stärker nutzen“

Dieser Paradigmenwechsel im Beschaffungsmanagement bedeutet aber auch, dass die Betriebsmittelfinanzierung angepasst werden muss – und hier kommt die Treasury-Abteilung ins Spiel, die sich stärker als bisher in die Diskussionen um resiliente, nachhaltige Lieferketten einbringen und sich damit zu einem Werttreiber im Unternehmen entwickeln kann.

Resilientere Lieferketten

Die gute Nachricht ist, dass Treasurer bereits über diverse Stellschrauben verfügen. An diesen könnten sie allerdings noch stärker drehen. Das gilt etwa für die Nutzung von Supply-Chain-Finance-Programmen.

Dabei kann der Lieferant flexibel Forderungen an einen Finanzierungspartner abtreten und umgehend über sein Geld verfügen. Zulieferer senken damit neben den Prämien für Warenkreditversicherungen oftmals ihre Finanzierungskosten, weil sich die Konditionen an der Bonität des Abnehmers orientieren. Die Abnehmer wiederum können strategisch wichtige Lieferanten enger an sich binden – und damit die Stabilität der Lieferkette steigern.

Vorreiter-Unternehmen nutzen diese Programme auch, um ihre Lieferanten zu mehr Nachhaltigkeit zu incentivieren. In diesem Fall orientieren sich die Finanzierungskosten auf Lieferantenebene, an der ESG-Performance des jeweiligen Lieferanten. Das hilft Unternehmen nicht nur, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, sondern stärkt letztlich auch die Lieferkette. Schließlich stellen nicht ESG-konform wirtschaftende Lieferanten ein beträchtliches Risiko dar.

Spätestens im kommenden Jahr müssen Unternehmen ohnehin Prozesse etabliert haben, um die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards in ihrer Lieferketten sicherzustellen. So sieht es deutsche Lieferkettengesetz vor, dass 2023 in Kraft tritt. Die meisten Lieferanten-Compliance-Programme sind diesen Pflichten heute noch nicht gewachsen. SCF-Programme können dabei helfen, die Transparenz in der Lieferkette zu erhöhen.

Auf der Forderungsseite wiederum könnten Unternehmen Forfaitierungen noch stärker nutzen. Dabei werden offene Forderungen an Finanzierungspartner verkauft, das Unternehmen erhält den vereinbarten Verkaufspreis direkt. Dieses Instrument stärkt nicht nur die Liquidität, sondern senkt auch die Risiken, da die Bank das Ausfallrisiko übernimmt – kein unwesentlicher Vorteil in Zeiten hoher Unsicherheit.

Das zeigt: Die Toolbox, die Finanzentscheidern zur Verfügung steht, um Kollegen aus dem operativen Geschäft dabei zu unterstützen, Lieferketten resilienter und nachhaltiger zu machen, ist groß. Weltweit profitieren circa 80 Prozent der in Frage kommenden Aktiva noch nicht von einem gezielten Working Capital Management, wie eine Studie der Beratungsgesellschaft McKinsey (2020) ergeben hat. Die Finanzabteilung sollte dies angehen – und damit einen echten Mehrwert für das Unternehmen schaffen.

Michael Dietz

Michael Dietz ist Global Head of Trade Finance Flow bei der Deutschen Bank in Frankfurt am Main.

michael.dietz@db.com