Tobias / Adobe Stock

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine vorrangige Aufgabe: die Wahrung der Preisstabilität in der Eurozone. Diese gilt gemeinhin als erreicht, wenn sich die jährliche Inflation mittelfristig im Bereich von 2 Prozent bewegt. 2022 lag die Teuerungsrate im Euroraum bei 8,4 Prozent, im laufenden Jahr wird sie bei 6,0 Prozent erwartet. Die EZB ist und bleibt also gefordert. Um die Preisdynamik abzudämpfen, hebt sie bereits seit Mitte 2022 ihre Leitzinsen sukzessive an und dürfte dies auf absehbare Zeit fortsetzen. Für Staatsanleihen aus der Eurozone sind steigende EZB-Leitzinsen grundsätzlich keine gute Nachricht. Denn höhere Leitzinsen führen durch den Geldmengenentzug seitens der Notenbank zu höheren Kapitalmarktzinsen, was wiederum die Anleihekurse unter Druck setzt. Insgesamt rechnet die Deutsche Bank in den kommenden Monaten allerdings nur noch mit eher moderaten Zinsanstiegen. Zudem scheinen die Marktteilnehmer weitere Zinsanhebungen bereits eingepreist zu haben – was unter anderem am zuletzt wieder stärkeren Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar sichtbar wird.

Ein weiterer „Druckpunkt“ für europäische Staatsanleihen könnte der geplante Bilanzabbau der EZB sein, vor allem die für März angekündigte sukzessive Reduzierung ihres Anleiheportfolios im Rahmen des Asset Purchase Programme (APP). Über dieses Programm hatte die EZB seit 2015 – in einem Umfeld sehr niedriger Teuerungsraten – unter anderem europäische Staatsanleihen angekauft, um das Inflationsniveau stabil zu halten. Vor dem Hintergrund stark steigender Inflationsraten wurde der Nettoankauf im Juli 2022 gestoppt. Ab März soll das Portfolio monatlich im Schnitt um 15 Milliarden Euro reduziert werden. Insgesamt wird die EZB im Jahr 2023 voraussichtlich allein deutsche Staatspapiere (Bunds) im Wert von rund 25 Milliarden Euro auslaufen lassen, ohne die freiwerdenden Mittel zu reinvestieren. Hierfür müssten dann andere Investoren einspringen. Neben dem teilweisen Wegfall der EZB als Käufer, also einer potenziell sinkenden Nachfrage nach Bunds, kommen weitere Herausforderungen auf die deutsche Staatskasse zu. Dazu gehören die gestiegenen Verteidigungsausgaben sowie die Gas- und Strompreisbremse, die durch Neuemissionen von Bunds finanziert werden müssen, also ein entsprechend wachsendes Angebot zur Folge haben.

Interessanter erscheint für Anleger derzeit die Lage am Markt für europäische Unternehmensanleihen. Zwar war auch hier in den vergangenen Monaten eine hohe Volatilität der Kurse zu beobachten. Aufgrund der zuletzt verbesserten makroökonomischen Aussichten für Europa – selbst die vielfach vorausgesagte milde Rezession scheint aus Sicht einiger Wirtschaftsexperten mittlerweile vermeidbar – könnte die Schwankungsintensität im Jahresverlauf jedoch abnehmen. Vor allem die laufende Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft nach Aufhebung der meisten Coronabeschränkungen sollte sich stützend auf die europäischen Unternehmen auswirken. Denn sie sorgt nicht nur für neue beziehungsweise zurückgewonnene Absatzmöglichkeiten und damit eine gewisse Kompensation für die schwächelnde US-Konjunktur, sondern sollte auch die globalen Lieferketten allmählich wieder normalisieren. Hinzu kommen, im Umfeld einer nach wie vor eher schwachen globalen Konjunktur- und damit Nachfrageentwicklung, tendenziell sinkende Preise vor allem für Energierohstoffe.

„Anleihen Europa: Warum Unternehmenspapiere mittlerweile günstig bewertet zu sein scheinen.“

Bei den derzeitigen Renditeniveaus und stabiler oder sogar abnehmender Volatilität dürften insbesondere institutionelle Investoren für eine größere Nachfrage bei europäischen Unternehmensanleihen guter Bonität (Investment Grade) sorgen. Im Hochzinsbereich (High Yield) sollten zumindest die zuletzt zu beobachtenden Kapitalabflüsse gestoppt werden können. Das sind positive Signale auch für Privatanleger, zumal europäische Unternehmensanleihen im Vergleich zum Aktienmarkt nach dessen Kursgewinnen der vergangenen Wochen aktuell wieder etwas günstiger bewertet zu sein scheinen.

Für Rentenanleger mit einer entsprechend erhöhten Risikobereitschaft – vor allem im Hinblick auf mögliche Währungsdifferenzen – könnte sich ein Blick über die Grenzen der Eurozone hinaus lohnen. Rechnet man den einmaligen Verlust durch die Abschreibungen russischer Anleihen heraus, schnitten in US-Dollar denominierte Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern im Gesamtjahr 2022 besser ab als ihre Pendants aus den USA und Europa. Insbesondere die wirtschaftliche Öffnung Chinas hat die Stimmung in diesem Anleihesegment verbessert, das derzeit mit rund 6,8 Prozent Rendite bessere Ertragsmöglichkeiten bietet als Investment-Grade-Anleihen aus zum Beispiel den USA und Europa, die rund 5,0 Prozent beziehungsweise 3,8 Prozent abwerfen.

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Redaktionsschluss: 30. Januar 2023, 15 Uhr