Danilo / Adobe Stock

Danilo / Adobe Stock

Es ist ein altbekanntes Dilemma: Mit steigenden Leitzinsen steigen auch die Zinskupons bzw. Renditen neu begebener Anleihen, gleichzeitig fallen jedoch die Kurse laufender Papiere. Der optimale Einstieg gelingt Anlegern theoretisch also dann, wenn die Zinsen ihren jeweiligen Höhepunkt erreicht haben. Dieser Zeitpunkt ist jedoch nur schwer zu prognostizieren. Einstiegsbereiten Anlegern empfiehlt sich ein genauer Blick auf die konjunkturellen und geldpolitischen Entwicklungen und deren mögliche Auswirkungen auf die verschiedenen Anleihesegmente.

Vor allem in den USA scheint sich der aktuelle Leitzinsanhebungszyklus langsam seinem Ende zuzuneigen. Die US-Notenbank Fed hat im Juni bereits eine Zinspause eingelegt, gab sich zuletzt mit der Andeutung möglicher weiterer Zinsanhebungen um insgesamt 50 Prozentpunkte allerdings wieder „hawkisher“ als von der Mehrheit der Marktteilnehmer erwartet. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zwar später mit den Zinsanhebungen begonnen, ist aber in ihrem Zinsanhebungszyklus ebenfalls bereits weit fortgeschritten. EZB-Präsidentin Christine Lagarde bezeichnete nach der jüngsten Notenbanksitzung im Juni dennoch eine weitere Leitzinsanhebung schon im Juli als wahrscheinlich.1 Ob erste Leitzinssenkungen in Europa tatsächlich wie derzeit vom Markt eingepreist im ersten Halbjahr 2024 erfolgen, scheint fraglich. Die Deutsche Bank erwartet Zinssenkungen frühestens Ende 2024.

Sowohl die Fed als auch die EZB haben ihre Inflationsprognosen zuletzt nach oben angepasst. Zwar sind die Inflationsraten in den USA und der Eurozone zuletzt tendenziell gesunken, die Preisentwicklung für Nahrungsmittel und Energie unterliegt jedoch weiterhin Unwägbarkeiten wie klimabedingten Ernteausfällen oder erneuten Energiepreisanstiegen im Falle eines harten Winters. Entscheidend für die weitere Zinspolitik der Notenbanker auf beiden Seiten des Atlantiks dürfte die Entwicklung der (Kern-)Inflation sein. Hier besteht beispielsweise weiterhin das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale.

Das konjunkturelle Wachstum in der Eurozone verlor zuletzt an Fahrt. Die Deutsche Bank erwartet für Europa jedoch 2023 insgesamt keine Rezession. Für Wachstumsimpulse könnte allen voran eine Konjunkturerholung in Asien sorgen. Dies könnte die Wahrscheinlichkeit möglicher Leitzinssenkungen in Europa reduzieren, was die laufenden Renditen von deutschen Bundesanleihen stützen dürfte. Wie die Marktteilnehmer in den kommenden Jahren angesichts gestiegener Zinsen die Staatsfinanzen einzelner europäischer Länder bewerten, bleibt abzuwarten. Die Deutsche Bank erwartet diesbezüglich jedoch keine dramatischen Entwicklungen. Italien etwa dürfte im Hinblick auf die Laufzeiten seiner derzeit emittierten Staatsanleihen erst gegen Ende des laufenden Jahrzehnts einen größeren Refinanzierungsbedarf haben. Sowohl Italien als auch weitere Länder dürften zudem vom Wiederaufbaufonds der Europäischen Union profitieren können, der im günstigsten Fall auch ihr strukturelles Wachstum stützt. Nicht zuletzt könnte das bislang noch nicht eingesetzte Anleiheankaufsinstrument TPI (Transmission Protection Instrument) der EZB verhindern, dass die Spreads von beispielsweise italienischen oder spanischen Anleihen gegenüber Bunds zu weit auseinanderlaufen.

Für die Vereinigten Staaten rechnet die Deutsche Bank nach einer leichten Rezession im zweiten Halbjahr 2023 mittelfristig mit einem anziehenden Wirtschaftswachstum, wobei das Leitzinsniveau vergleichsweise erhöht bleiben dürfte. Trotz dieses auch von der Fed erhofften „Soft Landing“ und eines möglichen absehbaren Endes des aktuellen Zinszyklus ergeben sich für die Anlageklasse der US-Staatsanleihen Herausforderungen. Risiken könnten unter anderem aus dem derzeit hohen Haushaltsdefizit und der zunehmenden Staatsverschuldung erwachsen. Die Deutsche Bank erwartet 2024 in den USA ein Defizit von 5,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Derzeit liegt die US-Verschuldungsquote bei um die 120 Prozent des BIP. Zudem haben die liquiden Mittel des US-Staates durch den politischen Streit um die Erhöhung der Schuldenobergrenze in den vergangenen Monaten spürbar abgenommen. In diesem Zusammenhang wird die Emission neuer US-Staatsanleihen im Gesamtwert von rund einer Billion US-Dollar erwartet. Das könnte die Anleihezinsen weiter nach oben treiben und die Kurse laufender Papiere unter Druck setzen.

„Was Euro-Unternehmensanleihen guter Bonität gegenüber US-Dollar-Papieren aktuell interessanter machen könnte.“

Anleger könnten aufgrund der globalen Unsicherheiten unter anderem hinsichtlich der weiteren konjunkturellen Entwicklung aktuell vor allem in Euro denominierte Unternehmensanleihen guter Bonität gegenüber US-Dollar-Papieren präferieren. Bei entsprechenden Euro-Anleihen mit Investment Grade (IG) sind die Risikoaufschläge gegenüber US-Staats- sowie deutschen Bundesanleihen zuletzt angesichts guter Fundamentaldaten und solider Bilanzen der Unternehmen gesunken. Zwar ist die Verschuldung europäischer Unternehmen gestiegen, ihre Liquiditätspuffer dürften jedoch ausreichen, um mögliche schwierigere Zeiten zu überstehen. Zumal die Deutsche Bank in der Eurozone, anders als in die USA, auf Sicht des Gesamtjahres 2023 nicht mit einer Rezession rechnet. Vor dem Hintergrund möglicher wirtschaftlicher Rücksetzer könnte dabei das Hauptaugenmerk auf Unternehmen mit defensivem Geschäftsmodell und/oder einer starken Marktstellung liegen. Im Segment der High-Yield-Anleihen könnten dagegen konjunkturell bedingte Zahlungsausfälle drohen, wobei diese bereits größtenteils in den Spreads eingepreist zu sein scheinen.

In den Schwellenländern (Emerging Markets, EM) sind die hohen Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen des vergangenen Jahres mittlerweile deutlich zurückgegangen. Vor dem Hintergrund der von der Deutschen Bank erwarteten fortgesetzten Konjunkturbelebung in China dürften sich die Risikoaufschläge auf dem aktuellen Level stabilisieren. Entsprechend risikobereite Anleger könnten in den höheren EM-Renditen Einstiegschancen sehen, allerdings erscheint das Aufwärtspotenzial bei den Kursen angesichts der bereits engen Spreads begrenzt.


1 https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2023/html/ecb.sp230616~
855cf9b61d.de.html (abgerufen am 30.06.2023 um 15.00).

Aktuelle Marktkommentare erhalten Sie im täglichen Newsletter „PERSPEKTIVEN am Morgen“.

Redaktionsschluss: 30. Juni 2023, 15 Uhr