tolotola / Adobe Stock

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Nach der Abkehr Pekings von der strikten Null-Covid-Politik der vergangenen drei Jahre geht die Wiederbelebung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens zunehmend in eine wirtschaftliche Erholung über. Diese verläuft den bisher verfügbaren Fundamentaldaten zufolge zwar noch unausgewogen, hat im Laufe des ersten Quartals 2023 aber an Fahrt aufgenommen und dürfte sich im zweiten Quartal weiter beschleunigen. Die Autoverkäufe beispielsweise stiegen im Februar um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr und verzeichneten damit den höchsten monatlichen Zuwachs seit Beginn der Aufzeichnungen. Darüber hinaus verbuchten die Ausgaben für andere Konsumartikel wie Getränke, Tabakwaren, Kleidung und Schmuck im Januar/Februar ein solides Wachstum von 5 bis 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch die Möbelverkäufe stiegen im Jahresvergleich um 5 Prozent – ein besonders positives Zeichen angesichts der immer noch fragilen Lage des Wohnungssektors.

Insgesamt schätzt die Analystengemeinde, dass sich das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in China von 1,9 Prozent im Dezember 2022 auf 3,9 Prozent in den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 beschleunigt hat. Auf eine zunehmende Dynamik deutet auch der breit angelegte Anstieg der Einkaufsmanagerindizes hin, die eine spürbare Zunahme der Produktion, der Auftragseingänge, der Beschäftigung und des Vertrauens in die künftige Wirtschaftstätigkeit zeigen. Dies steht im Einklang mit der jüngsten Belebung der Kreditnachfrage sowohl der privaten Haushalte als auch der Unternehmen, die durch die jüngst in Kraft getretene Senkung des durchschnittlichen Mindestreservesatzes für chinesische Geschäftsbanken durch die Notenbank People‘s Bank of China unterstützt wurde.

Die erwartete Beschleunigung des konjunkturellen Aufschwungs im zweiten Quartal bedeutet meines Erachtens nicht zwangsläufig, dass sich das Wachstum auch in den kommenden Quartalen in gleichem Maße fortsetzen wird. Vielmehr dürften eine weitere Erholung der Inlandsnachfrage, eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt und eine Stabilisierung des Immobiliensektors wichtige Voraussetzungen für einen nachhaltigen Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte sein. Nach der größten Umbildung der politischen Führung seit einem Jahrzehnt mit der Ankündigung der dritten Amtszeit von Xi Jinping als Chinas Staatschef und der neuen Regierung unter Premier Li Qiang erwarte ich, dass im zweiten Quartal gezielte wachstumsfördernde Maßnahmen angekündigt und umgesetzt werden.

Für die Weltwirtschaft bedeutet die robuste Erholung Chinas willkommenen Rückenwind. In den vergangenen drei Jahren haben die chinesischen Haushalte Ersparnisse in Höhe von rund 20 Billionen Yuan – umgerechnet etwa 2,9 Billionen US-Dollar – angehäuft, und es scheint ein erheblicher Nachholbedarf sowohl beim chinesischen Konsum als auch bei den Investitionen zu bestehen. Dies dürfte zu Zuflüssen in die inländischen Märkte führen und auch die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen von Chinas engeren Handelspartnern – einschließlich europäischer Unternehmen – erhöhen.

„Erholung in China – wie Anleger ihr Portfolio jetzt noch breiter diversifizieren können.“

Für Anleger könnte sich daraus eine zusätzliche Möglichkeit zur Portfoliodiversifizierung ergeben. Denn die Bedeutung Chinas als Exportmarkt hat für europäische Unternehmen im Laufe der Jahre zugenommen. Analysten zufolge entfallen mittlerweile 9 Prozent der Gewinne der im Euro Stoxx 50 notierten Unternehmen allein auf China. Kraftfahrzeuge, Maschinen und Ausrüstungen, Computer, elektronische und optische Produkte, Chemikalien, pharmazeutische Grundstoffe und elektrische Geräte gehören zu den am häufigsten aus den Ländern der Europäischen Union (EU) nach China exportierten Waren. Zudem dürfte die Reise- und Freizeitindustrie der EU von der sich gerade erst wieder erholenden internationalen Reisetätigkeit der Chinesen profitieren. Denn diese ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden. Vor der Corona-Pandemie machten chinesische Touristen 10 Prozent der außereuropäischen Reisenden in die EU aus; sie gaben allein im Jahr 2019 mehr als 10 Milliarden US-Dollar für Reisen in die EU aus. Ebenfalls stark von chinesischen Verbrauchern abhängig sind französische und schweizerische Luxusunternehmen, die in den vergangenen Wochen einen entsprechenden Aufschwung erlebt haben. Zwar dürfte die weitere chinesische Konjunkturerholung europäischen Luxusmarken zusätzlichen Rückenwind verleihen, doch sollten Anleger angesichts der bereits starken Wertentwicklung in diesem Sektor selektiv vorgehen.

Besonders groß ist der Chinaanteil an den Exporten aus Deutschland. Im Jahr 2022 betrug der Wert der deutschen Ausfuhren in das Reich der Mitte rund 116 Milliarden US-Dollar, was 2,8 Prozent des deutschen BIP entsprach. Damit entfiel fast die Hälfte aller EU-Ausfuhren nach China auf die Bundesrepublik. Analysten schätzen, dass durchschnittlich etwa 15 Prozent der Gewinne der DAX-40-Unternehmen auf ihr jeweiliges Chinageschäft zurückzuführen sind – angeführt von großen deutschen Unternehmen der Automobil-, Halbleiter- und Chemieindustrie, die mit 20 bis 35 Prozent ein deutlich überdurchschnittliches Ertragsengagement in China haben.

Ich gehe derzeit davon aus, dass sich im zweiten Quartal 2023 im Einklang mit den Zielen der offiziellen chinesischen Wirtschaftspolitik eine nachfrageorientierte wirtschaftliche Normalisierung in China einstellen wird. Die sich zuletzt recht stark entwickelnden chinesischen Aktienmärkte dürften jedoch nach wie vor nicht gegen Risiken gefeit sein, die sich beispielsweise aus einer möglichen Zunahme der globalen Risikoaversion oder aus eskalierenden politischen Spannungen zwischen China und den USA ergeben könnten.

Insgesamt könnte das Reich der Mitte für entsprechend risikobereite Anleger aber wieder ein zunehmend interessantes Investmentziel darstellen. Darüber hinaus sollten bestimmte Branchen innerhalb des europäischen und insbesondere des deutschen Aktienmarkts aufgrund ihrer hohen Verflechtung mit der chinesischen Wirtschaft überproportional stark von einer konjunkturellen Erholung in China profitieren.

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Redaktionsschluss: 31. März 2023, 15 Uhr