snapshotfreddy/ Adobe Stock

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Der inhaltliche Schwerpunkt des US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ (IRA) lässt sich leicht aus den Zahlen ablesen: Von den insgesamt 430 Milliarden US-Dollar, die die Regierung in Washington über Steuererleichterungen, Kredite und direkte Förderungen innerhalb der kommenden zehn Jahre zur Verfügung stellen will, entfallen rund 370 Milliarden US-Dollar auf den Klimaschutz und die Stärkung von Zukunftsbranchen. Hauptsächliche Ziele des Subventionspakets sind die Beschleunigung der grünen Transformation der US-Wirtschaft, die Verbesserung der Versorgungssicherheit mit Energie und Rohstoffen sowie die Ausweitung von Investitionen in die heimische Industrie

„Local Content“ als mögliche Bedrohung für Europa

Rund 60 Prozent der im IRA vorgesehenen Steuererleichterungen sollen dafür an die „Local Content“-Voraussetzung geknüpft werden: Kritische Rohstoffe, Vor- oder Endprodukte sollen vor allem aus US-Produktion stammen oder aus Ländern, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen haben, etwa Australien, Mexiko oder Südkorea. Ein Batteriehersteller etwa, der vom IRA profitieren möchte, muss 2023 rund 40 Prozent des benötigten Materials aus dieser Ländergruppe beziehen – 2026 sind es bereits 80 Prozent. Der IRA ist damit nicht nur ein Klimaschutzprogramm, sondern auch eine Investition in die Reindustrialisierung der USA, vor allem strukturschwacher Landesteile.

Auf den ersten Blick scheinen also Unternehmen aus den USA und durch Freihandelsabkommen verbundene Partnerländer die Profiteure des IRA zu sein, während beispielsweise Europa und die meisten Länder Asiens außen vor zu bleiben beziehungsweise Marktanteile zu verlieren drohen. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Sicher scheint, dass die USA vor allem ihre Abhängigkeiten von China und Russland verringern möchten – und dort ansässige Unternehmen mittel- und langfristig entsprechend unter Druck geraten könnten. Ganz auf Importe von außerhalb ihres Freihandelsuniversums werden die USA jedoch nicht so schnell verzichten können. Das betrifft vor allem Rohstoffe, die für die grüne Transformation unerlässlich sind. Aber auch Technologiegüter wie Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen, Energiespeicher und alternative Kraftstoffe. Beispielsweise importierten die USA im Jahr 2021 Windturbinen zu rund 98 Prozent aus Drittstaaten wie Spanien, Deutschland und China.

Nur durch den IRA und die direkt damit verbundenen Vorteile eines Produktionsstandorts in den USA dürfte es nicht gelingen, ausreichend inländische Produktionskapazitäten aufzubauen. Zumal viele europäische und insbesondere deutsche Greentech-Unternehmen ihre Exportmärkte stark diversifiziert haben und die USA damit zwar ein sehr wichtiger, aber eben kein alles bestimmender Handelspartner sind. In Verbindung mit strukturellen Problemen der US-Wirtschaft, etwa dem Fachkräftemangel oder infrastrukturellen Defiziten, und Unsicherheiten in Bezug auf kommende politische Mehrheiten im Land ist eine Verlagerung von Produktionskapazitäten ausländischer Unternehmen in die USA daher keine ausgemachte Sache. Somit dürften – wie bereits zu beobachten – teilweise Lockerungen der „Local Content“-Vorgaben oder sektorspezifische Abkommen mit einzelnen Drittstaaten auch in Zukunft notwendig sein.

Ein noch leichterer Zugang zum US-Markt würde sich für europäische Unternehmen durch den Abschluss eines EU-USA-Freihandelsabkommens ergeben, wie es seit 2013 verhandelt wird. Nach Jahren des Stillstands ist mittlerweile tatsächlich wieder etwas Bewegung in diese Richtung zu beobachten. Kurzfristiger dürfte Europas grüne Industrie aber von einem eigenen Investitionspaket profitieren, dem „Green Deal“-Industrieplan, den die EU-Kommission Anfang Februar 2023 vorgestellt hat und der neben einer Verbesserung der Planungs- und Genehmigungsverfahren unter anderem Investitionen in den Aufbau heimischer Produktionen von Sonne- und Windkraft, Batterien, Wärmepumpen und Wasserstoff in Höhe von möglicherweise 170 Milliarden Euro vorsieht – zusätzlich zu den geplanten Investitionen des 2019 vorgestellten „European Green Deals“ und den 300 Milliarden Euro des ähnlich gelagerten REPowerEU-Programms.1

„Wie die geplanten Investitionsprogramme in den USA und Europa den grünen Wandel im Portfolio beschleunigen könnten.“

Diese enormen Investitionspakete könnten – trotz ihrer zum Teil protektionistischen Anteile – nach Einschätzung des britischen Wirtschaftsmagazins The Economist die globale Energiewende um fünf bis zehn Jahre beschleunigen. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet mittlerweile von 2022 bis 2027 mit einer Zunahme der weltweiten Kapazitäten von erneuerbaren Energien um 2.400 Gigawatt, was Chinas heutiger Gesamtenergiekapazität entspricht und 30 Prozent über der IEA-Schätzung von 2021 liegt.

Langfristig interessante Sektoren für Anleger

Bei aller Vorsicht hinsichtlich der tatsächlichen Finanzierbarkeit und der konkreten Ausgestaltung der Programme könnte der Bereich grüne Technologie für langfristig und entsprechend risikobereite Anleger weltweit sehr interessante Möglichkeiten eröffnen.

Im Fokus könnten dabei Unternehmen aus den Sektoren Elektromobilität, Batterietechnologien, Wasserstoff, CO2-Abscheidung und -speicherung sowie erneuerbare Energien stehen. Noch mehr als bei anderen Investments sollten dabei neben den ökonomischen Rahmenbedingungen die vorherrschenden und zukünftig möglichen politischen Strömungen in die Anlageentscheidung einbezogen und auch längere Marktphasen erhöhter Volatilität einberechnet werden.

2 faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-nachhaltigkeit/europaeische-kommission-170-mrd-euro-noetig-fuer-gruene-technologien-18642061.html

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Redaktionsschluss: 27. Februar 2023, 15 Uhr