ABCDstock / Adobe Stock

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Werkbank der Welt, globaler Wachstumsmotor, Exportweltmeister – lange Zeit waren es vor allem positiv konnotierte Attribute, die der chinesischen Wirtschaft zugeschrieben wurden. Mit einem erwarteten Konjunkturplus von gut 5 Prozent, ausgehend von der relativ schwachen Basis des Corona-Jahres 2022, dürfte die mittlerweile nach Kaufkraftparität größte Volkswirtschaft der Welt zwar auch in diesem Jahr eines der großen globalen Wachstumszentren bleiben. Doch die Dynamik der Vor-Corona-Jahre scheint China erst mal abhandengekommen zu sein, ebenso wie das Vertrauen der Marktteilnehmer in eine fortwährende chinesische Erfolgsgeschichte.

Der wider Erwarten stotternde Konjunkturmotor – zum Jahresanfang gingen die meisten Analysten noch von einem Wachstum von gut 6 Prozent aus –, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, schwankende Immobilienmärkte, eine zunehmend alternde Gesellschaft, niedrige Zuwachsraten bei der Produktivität und eine hohe Verschuldung der Staatsbetriebe bestimmen aktuell die Schlagzeilen zum Reich der Mitte. In den vergangenen Jahren hat die Regierung in Peking zudem immer wieder mit teils erratischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen für Verunsicherung unter Investoren gesorgt. Wenig hilfreich waren und sind in diesem Zusammenhang auch die politischen und wirtschaftlichen Spannungen allen voran mit den USA. Das reflexartige Beantworten von Sanktionen mit Gegensanktionen, wie jüngst im Streit um die Beschränkungen hinsichtlich der Einfuhr von US-Halbleitern nach China und der chinesischen Ausfuhr der für die Chip-Produktion essenziellen Metalle Gallium und Germanium, sorgt weniger für ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern eher für eine Schwächung beider Großmächte.

Als ein Hoffnung stiftendes Zeichen der Annäherung mögen da die Besuche hochrangiger US-Funktionäre in China erscheinen: Antony Blinken im Juni – der erste Besuch eines US-Außenministers in China seit fünf Jahren –, Finanzministerin Janet Yellen und der US-Klimabeauftragte John Kerry im Juli. Diese Begegnungen dürften zwar kaum zu einer schnellen Normalisierung der bilateralen Beziehungen führen. Doch zumindest eine gewisse Entschleunigung der gegenseitigen Sanktionsdynamik rückt damit wieder in den Bereich des Möglichen.

An Herausforderungen mangelt es China auch ansonsten nicht. Denn bislang machen schwache Einkaufsmanagerindizes, ein sich erholender, aber keinesfalls explodierender Nach-Corona-Konsum und abnehmende Investitionen in die chinesische Privatwirtschaft wenig Hoffnung auf eine wirtschaftliche Besserung. Nach einem insgesamt durchwachsenen ersten Halbjahr 2023 bedarf es nun schon eines „Rucks“, um das Regierungsziel von rund 5 Prozent für das Gesamtjahr noch zu erreichen. Kurzfristig dürfte es daher entscheidend sein, inwiefern Peking die heimische Wirtschaft mit zeitnahen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen wird stimulieren können. In den vergangenen Wochen hat es hier nur vereinzelte Maßnahmen gegeben, etwa die Verlängerung der Steuerprivilegien beim Kauf von E-Autos – getrieben von zeitweise schwächelnden Absatzzahlen im Land – oder die behutsamen Senkungen der Leitzinssätze der People’s Bank of China (PBoC). Ich rechne damit, dass die PBoC in den kommenden Monaten weitere Zinssenkungen beschließen wird. Zum einen, um die finanzielle Belastung privater Haushalte zu verringern und damit die schwächelnde Nachfrage nach Konsumgütern zu stärken. Zum anderen, um einer drohenden Deflation entgegenzuwirken. Denn die chinesischen Erzeugerpreise, ein Vorbote für die Entwicklung der Verbraucherpreise, sanken im Juni um 5,4 Prozent und damit so stark wie seit mehr als sieben Jahren nicht.

Stärkung des Immobilienmarktes im Fokus

Am für China so wichtigen Immobilienmarkt dürfte das jüngst bis Ende 2024 beschlossene Kreditmoratorium die Liquiditätsprobleme einiger Projektentwickler spürbar lindern und die Fertigstellung ausstehender Bauten forcieren – zusätzliche Lockerungen der Kaufbeschränkungen und Anzahlungsbedingungen für Wohnimmobilien könnten folgen. Gelingt es Peking, den Immobilienmarkt zu stärken, könnte dies nicht nur das Wachstum insgesamt fördern, sondern auch für eine bessere Anlegerstimmung an Chinas Aktien- und Anleihemärkten sorgen. Flankiert werden dürften diese Schritte durch fiskalische Maßnahmen, etwa Steuererleichterungen für private Unternehmen, die mit rund 90 Prozent der neu geschaffenen städtischen Arbeitsplätze der Beschäftigungsmotor Chinas sind, eine weitere Lockerung der lokalen Wohnungsbaupolitik, produktspezifische Anreize wie zuletzt bei E-Autos und Investitionen in die Modernisierung des Landes, etwa in den Bereichen erneuerbare Energien, Transport oder künstliche Intelligenz. Insgesamt gehe ich davon aus, dass China seine Wachstumspläne zum Ende des Jahres noch erreichen kann. Im Vergleich zu vielen anderen Jahren bleiben die Unsicherheiten diesbezüglich aber erheblich.

„Chinas Konjunkturmotor stottert – wo Anleger in Asien jetzt Anlagealternativen finden könnten.“

Für den Rest der Welt sind dies durchwachsene Nachrichten. Vor allem Europa dürfte ein besseres zweites Halbjahr in China zwar zugutekommen, kurzfristig aber nicht von starken externen Wachstumsimpulsen aus dem Reich der Mitte profitieren können. Langfristig dürfte die Partizipation am chinesischen Wirtschaftswachstum ohnehin abnehmen. Denn das von Peking ausgegebene Ziel einer stärker binnenmarkt- und konsumgetriebenen Volkswirtschaft wird die Lieferketten und die Wertschöpfung verstärkt im Land halten – eine Linie, die beispielsweise im Bereich der Automobilhersteller und -zulieferer bereits deutlich zu erkennen ist. Diese Entwicklung weg vom chinesischen Fokus auf Investitionen und Export schafft andernorts wiederum Chancen. Asiatische Länder wie Indien und Vietnam schicken sich bereits an, die entstehende Lücke zu schließen.

Anleger bewegen sich mit Blick auf China demnach kurz- und langfristig in einem schwierigen Umfeld. Aufgrund der relativ niedrigen Bewertungen chinesischer Aktien könnte sich eine taktische Beimischung im Portfolio bei entsprechender Risikobereitschaft aktuell zwar anbieten. Vor allem die Unvorhersehbarkeit wirtschaftspolitischer Entscheidungen dürfte jedoch auch langfristig ein wesentliches Risiko bleiben. Stärker in den Fokus rücken könnten dagegen asiatische Schwellenländer, die vom Wandel in China profitieren.

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Redaktionsschluss: 31. Juli 2023, 15 Uhr