uladzimirzuyeu / Adobe Stock

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Das R-Wort geht um. Nach negativen Wachstumszahlen am Ende des vergangenen Jahres schrumpfte die Wirtschaft der Eurozone auch im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum real, also unter Berücksichtigung der Inflation.1 Sie befand sich damit per Definition in einer technischen Rezession. Die US-Wirtschaft hatte bereits Mitte 2022 in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen ein Minuswachstum verzeichnet und könnte zum Jahreswechsel 2023/24 erneut in eine Rezession abgleiten. Während Japan diesem Schicksal zumindest in den kommenden Quartalen entgehen dürfte, scheint China allmählich wieder an Dynamik zuzulegen – und das auf hohem Niveau. Stellt sich die Frage, welchen Einfluss diese Entwicklungen auf die Kapitalmärkte haben und wo die Staaten ansetzen könnten, um ihre Konjunktur zu stimulieren.

Ein Blick hinter die Zahlen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) legt die Stärken und Schwächen beim Wachstum der einzelnen Wirtschaftsräume offen. Insgesamt vier Komponenten spielen dabei eine Rolle: der private Konsum, die Investitionen der Unternehmen, die Ausgaben des Staates und der Außenbeitrag, also die Differenz zwischen Exporten und Importen. In den vergangenen, von der Corona-Pandemie geprägten Jahren waren es vor allem staatliche Maßnahmen, die die konjunkturelle Dynamik getrieben haben. Dieser starke fiskalische Impuls dürfte auf absehbare Zeit in den meisten bedeutenden Volkswirtschaften abebben.

Der Blick in die Regionen

Das gilt auch für Deutschland. Hier ist zudem auffällig, dass der ehemalige Exportweltmeister sich nicht mehr auf einstigen Lorbeeren ausruhen kann. Im Gegenteil: Der Außenbeitrag belastete in den vergangenen Jahren sogar mitunter das deutsche BIP. Im vergangenen Jahr etwa legte die deutsche Wirtschaft real um 1,8 Prozent zu, dabei bremste der schwächelnde Nettoexport die Wirtschaftsleistung um 1,3 Prozentpunkte ab. Auch aktuell sind Lage und Erwartungen vor allem im verarbeitenden Gewerbe schwach. Inländische Wachstumsimpulse wären durch notwendige Strukturreformen etwa im Bereich Bürokratieabbau oder eine beschleunigte Digitalisierung möglich – allein mir fehlt der Glaube, dass diese zeitnah angegangen werden. Die Vermeidung einer starken Rezession in Deutschland sowie der Eurozone knüpfe ich an meine Erwartungen hinsichtlich einer nur milden Rezession in den USA sowie einer Wiederbelebung der konjunkturellen Dynamik in China.

Zwar hat der Aufschwung im Reich der Mitte in den vergangenen Monaten an Fahrt verloren, allerdings könnte die Stärke des Dienstleistungssektors auf den Arbeitsmarkt überspringen und die Einkommen der privaten Haushalte und damit deren Konsumausgaben erhöhen – ein Bereich, der bereits seit einigen Jahren auch in China einen zunehmenden Anteil zum BIP-Wachstum beisteuert. Zudem rechne ich damit, dass die Regierung in Peking die heimische Konjunktur kurz- und mittelfristig wieder stärker stimulieren dürfte: Anders als viele Industrieländer hatte China nach der Wiedereröffnung seiner Wirtschaft hier vergleichsweise zurückhaltend agiert, was die Inflationsrate im Land niedrig hielt und nun größeren Spielraum für entsprechende Maßnahmen lässt – etwa für weitere Zinssenkungen, Konsumanreize für Elektromobilität und langlebige Haushaltsgeräte oder die gezielte Förderung lokaler Investitionen. Insofern halte ich die aktuelle konjunkturelle „Schwäche“ Chinas für ein kurzfristiges Phänomen und erwarte zeitnah robustere Wachstumsraten zumindest in diesem und zu Beginn des kommenden Jahres.

Von solch einer Dynamik ist Japan natürlich weit entfernt. Mit Blick auf die zurückliegenden Jahre, ja sogar Jahrzehnte, scheint die Wirtschaft im Land der aufgehenden Sonne aktuell dennoch geradezu zu boomen. Im Vergleich zum jeweiligen Potenzialwachstum – das angibt, wie stark eine Wirtschaft langfristig wachsen kann, ohne zu überhitzen – kann aktuell kaum ein anderes Industrieland mit der Konjunkturdynamik Japans mithalten. Im ersten Quartal des laufenden Jahres legte die Konjunktur im Vergleich zum Vorjahresquartal real um 1,9 Prozent zu – das entspricht einem nominalen Wachstum, also ohne Einrechnung der Inflation, von 3,9 Prozent. Ausschlaggebend dafür waren und sind vor allem die hohen Investitionen der Unternehmen sowie der private Konsum, während auch in Japan der Außenbeitrag das Wachstum seit Jahren eher bremst als stützt. Langfristig rechne ich allerdings nicht mit einem Anhalten dieser hohen Dynamik, sondern erwarte vielmehr, dass sie auf absehbare Zeit wieder etwas abnehmen könnte – die Gefahr eines deutlicheren Abschwungs sehe ich dagegen vor allem im Zusammenhang mit einer geldpolitischen Wende der japanischen Notenbank, mit der aktuell allerdings nicht zu rechnen ist.

Für Marktteilnehmer birgt die konjunkturelle Lage weltweit neben einigen Hoffnungsschimmern kurzfristig vor allem Unsicherheiten. Denn es bleibt abzuwarten, wann die Industrieproduktion in Deutschland wieder anspringt und ob die US-Wirtschaft sich 2024 zügig erholen kann, die Stimulierungsmaßnahmen Pekings greifen oder die japanischen Unternehmen auch in naher Zukunft in gleicher Weise investieren. Unter Druck bleiben dürften in den kommenden Quartalen auch die Unternehmensgewinne – nicht nur wegen der konjunkturellen Entwicklungen, sondern beispielsweise auch aufgrund der Kosten für die grüne Transformation oder den Aufbau stabilerer Lieferketten.

„Schwaches Konjunkturumfeld: Hier könnten sich Anlegern aktuell trotzdem interessante Chancen bieten.“

Anlegern könnte sich aktuell Zurückhaltung empfehlen

Was aber bedeutet dies konkret für mögliche Investmententscheidungen? Zwar bin ich auf 12-Monats-Sicht für die Kapitalmärkte wieder optimistischer, in den kommenden Monaten sollte jedoch phasenweise mit größeren Kursschwankungen gerechnet werden. Aus Anlegersicht dürfte es sich daher anbieten, momentan etwas zurückhaltender zu agieren. Das bedeutet jedoch nicht, das Handeln komplett einzustellen. Im Aktienbereich beispielsweise könnten sich derzeit in Wachstumsbereichen wie Technologie und speziell künstliche Intelligenz interessante langfristige Anlagechancen ergeben. Am Anleihemarkt stehen für mich bonitätsstarke Papiere im Fokus, allen voran Investment-Grade-Papiere von europäischen Unternehmen aus dem defensiven Bereich oder mit starker Marktstellung.


1https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/NAMQ_10_GDP__custom_
3761889/bookmark/table?lang=en&bookmarkId=4eef75c1-4ab8-4e39-865e-6301e3390d28
(abgerufen am 30.06.2023 um 15.00).

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Redaktionsschluss: 30. Juni 2023, 15 Uhr