DedMityay / Adobe Stock

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Technologische Durchbrüche sind häufig mit hitzigen Diskussionen über deren Vor- und Nachteile verbunden. Das war bei der Dampfmaschine nicht anders als beim Internet und aktuell bei der künstlichen Intelligenz (KI). Was sich jedoch ändert, sind Geschwindigkeit und Umfang, mit denen neue Technologien die Gesellschaft umzuformen scheinen. Manch einer sieht die Menschheit dank KI schon bald in ein Zeitalter des allgemeinen, weltweiten Wohlstands eintreten, während Skeptiker die Risiken von Massenarbeitslosigkeit und menschlichem Kontrollverlust heraufbeschwören. Für Anleger könnte es sich empfehlen, auf das wirtschaftliche Potenzial von KI zu schauen – denn das erscheint trotz vieler nach wie vor ungeklärter Fragen erheblich.

Schaut man unter die Indexoberfläche von Tech-Aktien, deren Kurse sich im ersten Halbjahr 2023 überproportional gut entwickelten, wird schnell klar, dass dieser Erfolg auf nur wenigen starken Säulen fußte – die zum größten Teil aus Unternehmen mit Bezug zu KI bestanden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen scheint der Zeitpunkt für eine stärkere Implementierung von KI in die Wirtschaftskreisläufe derzeit günstig: Der Arbeitskräftemangel vor allem in den Industrieländern dürfte sich demografisch bedingt in Zukunft weiter verschärfen, wodurch es zu unbesetzten Stellen und gleichzeitig zu höheren Lohnforderungen der verbliebenen Belegschaften kommen dürfte. Beide Entwicklungen lassen ein zeitnahes Investment in marktreife KI-Technologien zur Substituierung bestimmter bislang Menschen vorbehaltener Tätigkeiten für Unternehmen attraktiver erscheinen. Zum anderen erhoffen sich viele Marktteilnehmer – Investoren wie Wissenschaftler – durch KI mittel- und langfristig einen deutlichen Schub für die als Haupttreiber für langfristiges Wirtschaftswachstum und Wohlstandsgewinne geltende Produktivität. Deren Wachstum verliert spätestens seit der großen Finanzkrise nicht nur in den entwickelten Ländern immer mehr an Dynamik. In den USA betrug es über die vergangenen Jahre nur noch rund 1 bis 1,5 Prozent jährlich.

„The Next Big Thing – Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz aus Anlegersicht.“

Gesamtwirtschaftlich betrachtet könnte laut aktueller Studien beispielsweise das Produktivitätswachstum in den USA auf absehbare Zeit allein durch KI um jährlich bis zu 2 Prozentpunkte zulegen – und damit das jährliche Gewinnwachstum im S&P 500 über die kommenden 20 Jahre um bis zu 1 Prozentpunkt nach oben treiben. Für die Weltwirtschaft erwartet die Unternehmensberatungsgesellschaft PWC durch den Einsatz von KI bis 2030 einen Wohlstandsgewinn von insgesamt 15,7 Billionen US-Dollar, wobei 6,6 Billionen US-Dollar durch Produktivitätssteigerungen und 9,1 Billionen US-Dollar durch Konsumeffekte erzielt würden. Allein dadurch könnten das Bruttoinlandsprodukt Chinas in den kommenden sieben Jahren um jährlich 3,4 Prozent und das Nordamerikas um rund 2 Prozent steigen.

Ein Selbstläufer ist aber natürlich auch KI nicht – allen voran für Investoren. Denn neben den bereits recht hohen Aktienbewertungen von Teilen des Marktsegments stellt sich die Frage, welche konkreten Unternehmen und Bereiche von den Entwicklungen tatsächlich langfristig profitieren werden. Denn auch wenn der KI-Zug kaum mehr aufzuhalten sein dürfte, wird es in den kommenden Jahren auch eine Reihe von Verlierern geben, die die aktuell hohen Erwartungen nicht erfüllen. Zumal anhaltend hohe Zinsen der Entwicklung in diesem auf ständige Innovation angewiesenen Bereich bei der notwendigen Forschung und Entwicklung hinderlich sein dürften und Risiken durch höhere Steuern und eine schärfere Regulierung drohen.

Insgesamt rechnet die Deutsche Bank für den Gesamtbereich KI in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit großem Entwicklungspotenzial – sowohl was die Technologien an sich als auch die Kapitalmärkte betrifft. Anleger sollten langfristig planen, phasenweise Rückschläge tolerieren können und ihr mögliches KI-Portfolio breit aufstellen. Ausschließlich auf die „Big-Techs“ aus den USA oder die bekannten KI-Entwickler zu setzen, dürfte dagegen wenig ratsam sein.

Vielmehr erwartet die Deutsche Bank positive Entwicklungs- und Marktimpulse gerade auch in Bereichen, die erst auf den zweiten Blick mit KI in Verbindung stehen, nämlich bei den Zulieferern und Endanwendern der neuen Technologien. Das betrifft beispielsweise den Bereich Datenprovider, Cloud-Anbieter oder Halbleiterentwicklung und -herstellung, ohne den die massenhafte Implementierung von KI in Produktionsprozesse gar nicht möglich wäre. Oder Unternehmen aus der Medizin- und Pharmabranche, denen KI helfen dürfte, neue Wirkstoffe oder Diagnosemethoden zu entwickeln. Auch im Rechtswesen, in Unternehmensberatungen, in der Mobilität und vielen anderen Bereichen könnte KI in Zukunft einen Innovationsschub auslösen. Um bei dieser Vielfalt an Möglichkeiten nicht den Überblick zu verlieren, könnte sich für Anleger statt vieler Einzelinvestments eine entsprechende Fondslösung anbieten.

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Redaktionsschluss: 30. Juni 2023, 15 Uhr