cunaplus / Adobe Stock

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Die grüne Transformation der Wirtschaft ist für die Menschheit überlebensnotwendig, daran herrscht weltweit kein begründeter Zweifel. Wie und in welchen Bereichen die dafür benötigten Investitionen erfolgen sollten, sorgt allerdings immer wieder für Diskussionen – umso kontroverser, je höher die veranschlagten Summen.

Wettlauf der Subventionsprogramme?

Der insgesamt 430 Milliarden US-Dollar schwere „Inflation Reduction Act“ (IRA) der US-Regierung der, anders als der Name es vermuten lässt, vor allem ein Programm zum Ausbau grüner Technologien im Land ist, hat entsprechend großes Konfliktpotenzial – in den USA selbst, aber beispielsweise auch in Europa. Denn anders als vergleichbare europäische Subventionspakete ist ein Großteil der vor allem aus Steuervergünstigungen bestehenden US-Hilfen unter anderem daran gekoppelt, dass die Produktion von zum Beispiel E-Autos, Fotovoltaikanlagen oder Batterien vor Ort erfolgt – sofern das Lieferland kein Freihandelsabkommen mit den USA abgeschlossen hat.1

Befürchtungen, diese „Local Content“-Regel würde zwangsläufig zu Abwanderungen von europäischen Firmen in die USA führen, trat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang Februar mit der Vorstellung des europäischen „Green Deal“-Industrieplans entgegen, der seinerseits unter anderem die Regeln für Staatshilfen lockern und ungenutzte Mittel aus den Corona-Hilfstöpfen für grüne Projekte in Europa freisetzen soll. Darüber hinaus soll ein sogenannter Souveränitätsfonds eingerichtet werden und mittelfristig Geld in Schlüsseltechnologien lenken. Eine richtige Entscheidung?

Eine pauschale Antwort auf diese Frage lässt sich derzeit kaum geben. Denn zum einen ist der IRA zwar verabschiedet, aufgrund der Diskussion über die Ausweitung der US-Schuldenobergrenze aber noch längst nicht umgesetzt – ohnehin soll das Programm langfristig bis ins Jahr 2032 laufen. Zum anderen ist zumindest fraglich, ob es durch den IRA überhaupt zu den befürchteten Nachteilen für europäische Unternehmen kommen wird. Die EU und die USA haben sich beispielsweise bereits darauf geeinigt, dass elektrobetriebene Leasingautos aus Europa von der „Local Content“-Regel ausgenommen sind – das entspricht etwa jedem zweiten in den USA verkauften Auto aus Europa. Über andere Bereiche, etwa die Verwendung kritischer Rohstoffe, wird derzeit noch intensiv verhandelt. Eine Entscheidung dazu wird noch in diesem März erwartet.

Standortbedingungen als Hauptherausforderungen

Zwar bedarf es meines Erachtens unbedingt einer europäischen Antwort auf den IRA, um im Bereich der zukunftsträchtigen grünen Technologien langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Allerdings sollte sich diese nicht in Kapitalhilfen für einzelne Sektoren erschöpfen, sondern vielmehr konkret die Herausforderung adressieren, die sich seit Jahren als Hemmschuh für den langfristigen technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt in Europa erweist: die mitunter mangelhaften Standortbedingungen für die Industrie.

Denn während die meisten weichen Faktoren wie das herrschende politische System, die medizinische Versorgungslage oder das Bildungsniveau insgesamt als wirtschaftsfördernd einzustufen sein dürften, hapert es in Europa vor allem bei einigen harten Standortfaktoren. Dazu zählen die mangelnde Versorgungssicherheit mit umweltfreundlicher und wirtschaftlich tragfähiger Energie, Defizite bei der Digitalisierung, Hürden für die weitere Integration des EU-Binnenmarkts sowie komplexe Planungs- und Genehmigungsverfahren, etwa für Infrastrukturprojekte. Ein weiteres Problem zeigt sich beispielhaft am deutschen Arbeitsmarkt: der demografisch bedingte Mangel an Fachkräften.

„Das Investitionspaket „Inflation Reduction Act“ der US-Regierung sorgt für Verunsicherung in der Alten Welt. Wie sollte Europa darauf reagieren?“

Politik sollte grundsätzlichen Rahmen vorgeben

In all den oben genannten Bereichen gilt es – ich werde nicht müde, es zu betonen –, endlich Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Unternehmen ermöglichen, in Europa und aus Europa hinaus global wettbewerbsfähig zu forschen, zu entwickeln und zu produzieren. Dazu müssen investitionshemmende bürokratische Hürden und unklare Regulierungen abgebaut sowie klare Vorgaben, etwa für den Zuzug qualifizierter Fachkräfte, geschaffen und umgesetzt werden. Das mag banal klingen, ist aber deshalb nicht weniger zwingend die Voraussetzung für die Schaffung eines wachstumsfördernden Investitionsklimas in Deutschland und ganz Europa. Investitionen, wie zuletzt im „Green Deal“-Industrieplan der EU vorgesehen, können diese Entwicklungen stützen und beschleunigen.

Sie sind aber nur dann sinnvoll, wenn die Politik nicht bis ins Detail bestimmen will, wofür das Geld ausgegeben werden darf – was im Zweifel dazu führen kann, dass Gelder nicht zielführend eingesetzt beziehungsweise gar nicht abgerufen werden. Statt bestimmte Investitionsbereiche wie Wasserstoff, Wind- oder Solarenergie zu bevorzugen, sollte die Politik den großen Rahmen vorgeben, beispielsweise die Reduzierung der Klimagasemissionen, und die konkrete Ausgestaltung den Marktteilnehmern überlassen. Über die Höhe möglicher Subventionen oder Steuererleichterungen behielte sie zwar eine gewisse Lenkungsfunktion, stände einer technikoffenen Entwicklung aber nicht im Wege.

IRA als möglicher Impulsgeber auch für Europa

Eben diese braucht es, um das wirtschaftliche Wachstumspotenzial in Europa trotz struktureller Herausforderungen wie der Alterung der Gesellschaft langfristig zu stärken und verlorenes Terrain in Zukunftsbranchen wie Halbleitern, Batterien oder erneuerbaren Energien zurückzugewinnen beziehungsweise in Sektoren wie Wasserstoff oder künstlicher Intelligenz vorhandenes Know-how auszubauen und zur Marktreife zu bringen.

Sollte dies gelingen, könnte sich die europäische Wahrnehmung des „Inflation Reduction Act“ wandeln: Statt als Bedrohung der heimischen Wirtschaft und Treiber eines für alle Seiten ruinösen Subventionswettlaufs könnte er dann als Impulsgeber für eine neue und langfristig erfolgreiche europäische Wirtschaftspolitik stehen. Europa hat die Wahl.

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Redaktionsschluss: 27. Februar 2023, 15 Uhr