Volkswirtschaft – 05.10.2023

Volkswirtschaft: Zinsniveaus als zunehmende Belastung

Die wichtigsten Fakten:

  • Sowohl in den entwickelten Ländern als auch in vielen Schwellenländern sollten die hohen Leitzinsen zunehmend Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben.
  • Die Geldpolitik der Zentralbanken und die Emission von US-Staatsanleihen bewegen die Anleihemärkte.
    • Die Schwellenländer dürften in Zukunft politisch und wirtschaftlich eine größere Rolle auf globaler Ebene spielen.

    Quelle: tawatchai1990 / Adobe Stock

    Nach einem soliden zweiten Quartal 2023 und einem erwarteten Wachstum im dritten Quartal deuten die Frühindikatoren für die US-Wirtschaft auf eine abnehmende Dynamik in den beiden Folgequartalen hin. Vor allem der bislang robuste Konsum könnte sich abschwächen. Ein Grund dafür könnte die straffe Geldpolitik der US-Notenbank Fed sein, die zunehmend auf Teilen der Realwirtschaft lastet. Ein deutlicher Abschwung in den USA sollte aus unserer Sicht im Umfeld einer nur leicht steigenden Arbeitslosigkeit und eines gedämpften Lohnwachstums jedoch vermieden werden können.

    USA: Inflation geht zurück, Konsumentenvertrauen steigt

    Die Wirtschaft in der Eurozone dürfte unserer Einschätzung nach weder 2023 noch 2024 in eine Rezession rutschen. Jedoch wird sie wahrscheinlich auch nur wenig zulegen können, da das hohe Zinsniveau die Nachfrage belasten könnte. Positive Impulse sind von steigenden Löhnen und einer rückläufigen Gesamtinflation zu erwarten, die das real verfügbare Einkommen der Haushalte erhöhen und damit den privaten Verbrauch stützen dürften.

    Eine vergleichsweise hohe Dynamik zeigte im zweiten Quartal die japanische Wirtschaft. Angesichts des starken Lohnwachstums und der verbesserten Terms of Trade erwarten wir dort auch weiterhin Wachstumsraten, die über dem eigentlichen Wachstumspotenzial liegen. In China hingegen verschlechterten sich die wirtschaftliche Aktivität und die Stimmung der Marktteilnehmer im zweiten und dritten Quartal deutlich. Von Peking angekündigte Maßnahmen zur Stützung der Investitionen und des Verbrauchs dürften sich nur allmählich entfalten, aber zu einer Wiederbelebung der wirtschaftlichen Erholung zum Jahresende beitragen.

    Weltweit haben die Zentralbanken nach wie vor mit einer hartnäckig hohen Kerninflation und einer schwachen Wirtschaftsentwicklung zu kämpfen. Die ersten Zinssenkungen der Fed sind für das zweite Quartal 2024 zu erwarten, während die EZB in der zweiten Jahreshälfte folgen dürfte. In Japan wird die geldpolitische Normalisierung Zeit brauchen; zumindest die lange Phase der Negativzinsen könnte jedoch Mitte 2024 enden. Sollten sich in China weitere fiskalische oder wohnungsbaupolitische Maßnahmen der Regierung als unzureichend erweisen, um den Aufschwung zu beleben, dürfte die People’s Bank of China (PBoC) zusätzliche geldpolitische Stimuli einleiten.

    Risiken auf unserem Radar

    Viele Marktrisiken bleiben geopolitischer Natur: In der Europäischen Union wird beispielsweise darüber nachgedacht, den Marktzugang chinesischer Hersteller von E-Autos zu begrenzen. Die US-Regierung wiederum hat China und einige Länder des Nahen Ostens mit zusätzlichen Ausfuhr- und Investitionsbeschränkungen für ausgewählte Halbleiterprodukte und -anlagen belegt – was die Exportaussichten westlicher Hersteller beeinträchtigt. Zumal China in der Lage zu sein scheint, die Auswirkungen einiger der US-Sanktionen dank Fortschritten bei High-End-Halbleitern aus eigener Produktion zu kompensieren. Die von Peking als Vergeltung in Kraft gesetzten Ausfuhrbeschränkungen bei wichtigen Rohstoffen haben zudem den Preisdruck für einige westliche Unternehmen erhöht.

    „Leitzinsen und Geopolitik – warum das Konjunkturwachstum weltweit sehr unterschiedlich ausfallen könnte.“

    Die Entscheidung der BRICS-Staaten, sechs neue Mitglieder aufzunehmen, dürfte das politische und globale Gewicht der Schwellenländer stärken. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies langfristig auf die Weltwirtschaft auswirkt. Ebenso unter Beobachtung stehen die im Januar 2024 stattfindenden Wahlen in Taiwan und deren möglichen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen China und den USA.

    Im Lebensmittelbereich sorgen das ausgelaufene Getreideexportabkommen zwischen Russland und der Ukraine, indische Ausfuhrbeschränkungen für Reis sowie Dürren und Überschwemmungen für steigende Preise – was die Schwellenländer besonders hart trifft. Dürren haben auch die Stromerzeugung aus Wasserkraft in mehreren Regionen der Welt eingeschränkt. Zusammen mit der klimabedingt verstärkten Nutzung von Klimaanlagen treibt dies den Verbrauch fossiler Brennstoffe in die Höhe. Deren Preise sind durch die Entscheidung der OPEC+, ihre Fördermengen bis Ende des Jahres zu kürzen, ohnehin bereits gestiegen.

    Am Anleihemarkt liegt der Fokus auf möglichen Zahlungsausfällen in Asien sowie in Europa, wo man sich den höchsten monatlichen Ausfallraten der vergangenen drei Jahre annähert. Dagegen hat sich die Lage am US-Rentenmarkt zuletzt insgesamt verbessert. Ein wichtiger Einflussfaktor könnte jedoch – nach den Ausgabeverzögerungen durch die langwierigen Diskussionen über die Schuldenobergrenze zu Beginn dieses Jahres – das aufgestaute Angebot an US-Staatsanleihen sein. Da der Anteil kurzfristiger Schatzanweisungen dabei höher war als von den Marktteilnehmern erwartet, stellt sich die Frage, ob diese in Zukunft in längerfristige Schatzanweisungen umgeschichtet werden, was die Marktvolatilität anheizen könnte.

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    Redaktionsschluss: 29.09.2023, 15.00

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