VRD / Adobe Stock

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Die Klima- und die Energiekrise sind zwei der größten Herausforderungen unserer Zeit und gleichzeitig stark miteinander verwoben: Rund drei Viertel der weltweit ausgestoßenen klimaschädlichen CO2-Emissionen sind allein auf den Energiesektor zurückzuführen.1 Hauptemittenten sind die Industrieländer, in denen der Pro-Kopf-Energieverbrauch um ein Vielfaches höher liegt als im Rest der Welt. In den USA beispielsweise beträgt er jährlich mehr als 10.000 Kilowattstunden (kWh), in weiten Teilen Afrikas dagegen weniger als 1.000 kWh.2 Entsprechend groß sind nicht nur dort die Anstrengungen, den Anteil der Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen zu verringern. Denn mit einer Abnahme des globalen Energieverbrauchs ist nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Das anhaltende Wohlstands- und Bevölkerungswachstum vor allem in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern dürfte die Energienachfrage in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch deutlich steigern. Ziel muss es daher sein, Energie zuverlässiger, umwelt- und klimaschonender zu produzieren – Effizienzsteigerungen, etwa bei Elektrogeräten, dürften dagegen nur einen sehr begrenzten Effekt haben.

Voraussetzung für die grüne Transformation der globalen Energiewirtschaft ist die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Quellen, die keine Treibhausgase erzeugen, etwa Solar-, Wasser- oder Windenergie. Zunehmend in den Fokus rücken dürfte jedoch auch die Art und Weise, wie Energie verteilt, gespeichert und verbraucht wird. Eine entscheidende Rolle könnte dabei die Elektrifizierung spielen, also die Ausweitung der Nutzung von grünem Strom durch bisher vor allem von Kohle, Öl oder Gas abhängige Sektoren.

„Mit dem Strom schwimmen – den Bereich Elektrifizierung als Anlagemöglichkeit entdecken.“

Aus Anlegersicht ist die Transformation der Energiewirtschaft aktuell mit einigen Unsicherheiten verbunden, insbesondere im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit des klassischen Energiesektors. Lag die Wertentwicklung der Branche in den vergangenen fünf Jahren sowohl hinter der des breiten Marktes (MSCI World) als auch des Versorgungs- und Investitionsgütersektors zurück, konnten Energiekonzerne seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vom Stress am Energiemarkt und den darauffolgenden Preissteigerungen überproportional profitieren. Ungeachtet dieser kurzfristigen Entwicklungen geht die Deutsche Bank davon aus, dass sich die globalen Kapitalströme im Energiesektor zunehmend verschieben werden. Während sich die Geschäftsergebnisse von vielen Energiekonzernen mit einem fossilen Exposure langfristig verschlechtern dürften, könnten die weltweiten Investitionen in eine kohlenstoffarme Stromerzeugung sowie in die Elektrifizierung in den kommenden Jahrzehnten exponentiell ansteigen. Zwar stieg in den vergangenen zehn Jahren die globale Stromerzeugungskapazität aus erneuerbaren Energien bereits um 130 Prozent – während die aus nicht erneuerbaren Quellen nur um 24 Prozent zunahm. Dessen ungeachtet bleibt das weitere Entwicklungspotenzial enorm. Denn noch immer werden weltweit rund 36 Prozent des Stroms aus Kohle, 23 Prozent aus Erdgas und 3 Prozent aus Erdöl gewonnen.

Energie mit Aufholpotenzial Entwicklung der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) ausgewählter globaler Aktienindizes: Energie, Versorger, Weltleitindex.

Während einige etablierte Versorgungsunternehmen bereits wichtige Treiber des Aufbaus einer Infrastruktur für erneuerbare Energien sind, werden viele klassische Energieunternehmen weiter daran arbeiten müssen, sich an das veränderte Geschäftsumfeld anzupassen, wenn sie nicht aufgrund von Umweltproblemen, sich verändernden Ressourcenlandschaften, neuen staatlichen Vorschriften und sozialen Normen zu überflüssigen, sogenannten Stranded Assets (deutsch: gestrandete Vermögenswerte) werden wollen. Innerhalb der „Übergangsindustrien“ wie Öl und Gas könnten sich diejenigen Unternehmen, die den Übergang besser bewältigen, etwa durch eine geringere Kohlenstoffintensität oder einen höheren Anteil an Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, mittelfristig besser entwickeln als ihre direkten Wettbewerber.

Insgesamt geht die Deutsche Bank davon aus, dass sich die Energieprioritäten des öffentlichen und des privaten Sektors in den kommenden Jahren immer mehr annähern werden – nicht nur durch die Handlungsaufforderungen von Wissenschaftlern, sondern auch durch technologische Fortschritte. Letztere dürften es ermöglichen, dass Investitionen in erneuerbare Energien zunehmend zum Wirtschaftswachstum beitragen. Die gesamte Energiewertschöpfungskette, von Solarmodulen bis zu Verteilungsnetzen und Energiespeicherunternehmen, könnte von dieser globalen Energiewende profitieren. Interessant für Anleger dürften daher vor allem langfristige Investitionen in Unternehmen aus Sektoren wie Infrastruktur, Klimaschutztechnologien oder erneuerbare Energien sein. Dabei sollte das Potenzial von Unternehmen der „Old Economy“, also etablierter „alter“ Wirtschaftskonzerne etwa aus dem Öl- oder Gassektor, nicht unterschätzt werden. Ihre aktuellen Bewertungen, die zum Teil deutlich unter den jeweiligen langjährigen Mittelwerten notieren, könnten nach oben korrigieren, sofern sie ihre Investitionen in erneuerbare Energien erhöhen und schrittweise auf nachhaltige Geschäftsaktivitäten umstellen.

1 Climate Watch, the World Resources Institute (2020);
2 IEA, International Energy Association.

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Redaktionsschluss: 30. Mai 2023, 15 Uhr