Aktien, Volkswirtschaft / Geldpolitik – 30.09.2024
Die wichtigsten Fakten:
Der Tokioter Kern-Verbraucherpreisindex (Kern-VPI, ohne frische Lebensmittel) lag im August den dritten Monat in Folge über der Zwei-Prozent-Marke bei 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Maßgeblich getrieben wurden die Preise durch den Wegfall von Subventionen für Versorgungsleistungen und steigende Reispreise aufgrund von Angebotsbeschränkungen. Der für die Bank of Japan (BoJ) wichtige Super-Kern-VPI (ohne frische Lebensmittel und Energie) hingegen lag im selben Zeitraum mit 1,3 Prozent deutlich unter der Zwei-Prozent-Marke – was darauf hindeutete, dass die nachfragegetriebene Inflation noch nicht angezogen war. Auch das Umsatzwachstum im Einzelhandel im Juli fiel mit 2,6 Prozent schwächer aus als erwartet.
Am japanischen Arbeitsmarkt scheint sich die Dynamik abzuschwächen: Die Arbeitslosenquote stieg im Juli unerwartet stark auf 2,7 Prozent gegenüber 2,5 Prozent im Vormonat, was einen Zwölf-Monats-Höchstwert darstellte. Allerdings könnte es sich hierbei um ein vorübergehendes Phänomen handeln, da sich der japanische Arbeitsmarkt angesichts steigender Löhne, Arbeitskräftemangel und einer alternden Bevölkerung in einem Strukturwandel befindet. Insgesamt ist der Arbeitsmarkt dadurch dynamischer geworden, weil sich die Strukturen von lebenslanger Beschäftigung und erfahrungsbasierten Gehaltserhöhungen rasch ändern und junge Menschen offener für einen Arbeitsplatzwechsel sind. Eine mögliche Erklärung für den Anstieg der Arbeitslosenquote könnte sein, dass im Juli grundsätzlich mehr Menschen ihre Arbeit aufgeben, um nach besseren Karrierechancen zu suchen. Denn drei Monate nach dem Ende des Geschäftsjahres im April beginnen Unternehmen in der Regel, mehr Personal einzustellen. Trotz des Höchstwerts von 2,7 Prozent gilt diese Arbeitslosenquote nach wie vor als niedrig, und diejenigen, die arbeitslos sind, könnten angesichts des Arbeitskräftemangels bald wieder eingestellt werden.
Die niedrigere Kerninflation und die etwas höhere Arbeitslosenquote deuten darauf hin, dass die BoJ vorerst einen abwartenden Ansatz verfolgen dürfte. Der Yen (JPY) hat gegenüber Anfang Juli bereits um mehr als 10 Prozent aufgewertet, und die Importinflation könnte von hier aus nachlassen. Das könnte bedeuten, dass die BoJ kurzfristig keine Dringlichkeit für weitere Zinserhöhungen sieht, zumal die Zinserhöhung im Juli in Kombination mit unerwartet schwachen Wirtschaftsdaten aus den USA Anfang August und erneut Anfang September zu heftigen Marktreaktionen geführt hatten, bei der die Kurse japanischer Aktien inmitten eines globalen Aktienverkaufs stark einbrachen. In dieser unsicheren Marktstimmung könnte eine aggressive Zinspolitik der BoJ einen weiteren Ausverkauf auslösen. Wenig überraschend behielt die BoJ daher ihre zuletzt abwartende Haltung auf der geldpolitischen Sitzung am 20. September bei.
Im weiteren Jahresverlauf 2024 oder Anfang 2025 könnte die BoJ ihre Zinsen allerdings durchaus weiter erhöhen, sobald sie ein klareres Bild von der Richtung der Binnen- und der Weltwirtschaft gewinnt. Das japanische Wirtschaftswachstum könnte sich im zweiten Halbjahr 2024 beschleunigen, was auf einen höheren Konsum der privaten Haushalte nach den Lohnerhöhungen Anfang des Jahres zurückzuführen sein sollte. Auch die Unternehmensinvestitionen könnten angesichts einer weiterhin positiven Geschäftslage zulegen. Die Investitionsausgaben japanischer Unternehmen stiegen im zweiten Quartal um 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, was einer Beschleunigung im Vergleich zum Vorquartal entspricht. Sobald die Unsicherheiten hinsichtlich weiterer Zinssenkungen der Fed sowie die Volatilität der Finanzmärkte in den kommenden Monaten nachlassen, könnte die BoJ erneut über eine Normalisierung der Zinssätze nachdenken. Doch selbst dann erwarten wir, dass sie kleinere Schritte unternehmen und die Zinssätze bei Bedarf nur um jeweils 10 Basispunkte erhöhen wird
Unserer Ansicht nach könnte das Potenzial für eine weitere Aufwertung des JPY die Stimmung am japanischen Aktienmarkt kurzfristig negativ beeinflussen. Denn die Entwicklung japanischer Aktien korreliert negativ mit der des Yen. Da japanische Unternehmen in erheblichem Maße mit Auslandsmärkten verflochten sind, führt ein schwächerer JPY zu höheren Auslandsumsätzen und -erträgen. Eine JPY-Aufwertung könnte daher Befürchtungen hinsichtlich einer Belastung der Unternehmensgewinne neue Nahrung geben.
Als interessant sind in diesem Zusammenhang die Veränderungen der Unternehmensgewinnerwartungen in den vergangenen Monaten zu betrachten. Insgesamt sehen wir mehr positive als negative Revisionen. Zu den Sektoren mit mehr Heraufstufungen gehören Industrie, IT, Finanzwesen, Gesundheitswesen, Kommunikationsdienste, Versorgungsunternehmen und Energie. Auch die Aussichten für das Umsatz- und Gewinnwachstum im Gesamtjahr für die im TOPIX gelisteten Unternehmen haben sich von +2,1 Prozent bzw. -8,0 Prozent zuletzt auf +2,4 Prozent bzw. -4,5 Prozent verbessert. Daher sind wir der Ansicht, dass die Ankündigungen der Unternehmen, ihre Rentabilität und Bilanzen zu verbessern, Aktienrückkäufe und Dividendenausschüttungen zu erhöhen und die Unternehmensstrukturen zu vereinfachen, weiterhin dazu führen sollten, dass sich die Kurse japanischer Aktien nach oben bewegen – kurzfristig und teilweise durch einen Anstieg des JPY gedämpft. Angesichts des Aufwärtsdrucks auf den JPY erwarten wir, dass Investitionen, die nicht währungsgesichert sind, höhere Renditen erbringen dürften.
Mit Blick auf den Fortschritt bei den Unternehmensreformen, die von der Tokio Stock Exchange (TSE) und der Financial Services Agency (FSA) initiiert wurden, ist festzuhalten, dass einige Meilensteine bereits erreicht wurden. So nahmen die Investitionen in japanische Unternehmen im ersten Halbjahr 2024 stark zu und beliefen sich auf insgesamt 318 Milliarden USD – mehr als das Doppelte des Gesamtjahresvolumens 2023. Maßgeblich dafür waren Pläne der Unternehmen zur Erhöhung ihrer Bewertungen, der Reduzierung von Kreuzbeteiligungen und der Verbesserung der Einflussmöglichkeiten der Investoren auf das Management.
Insgesamt haben bereits 86 Prozent der Primärmarkt- und 44 Prozent der Standardmarkt-Unternehmen (Stand: 31. Juli) entsprechende Managementmaßnahmen entweder bereits bekannt gegeben oder erwägen dies. Nachdem die TSE die Offenlegung in englischer Sprache für alle an der Börse gelisteten Unternehmen verpflichtend gemacht hat, haben 94 Prozent der Primärmarkt- und 24 Prozent der Standardmarkt-Unternehmen ihre Unternehmensergebnisse in englischer Sprache veröffentlicht (Stand: 31. Juli).
Während das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des TOPIX weitgehend im Einklang mit seinem Fünf-Jahres-Durchschnitt steht, werden Sektoren wie Nichtbasiskonsumgüter, Verbrauchsgüter, Grundnahrungsmittel und Versorgungsgüter aktuell mit einem Abschlag gehandelt.
Wir erwarten eine anhaltende grundlegende Neubewertung aufgrund von Unternehmensreformen, die teilweise durch eine potenzielle Aufwertung des JPY gedämpft werden könnte. Kurzfristig bleiben wir angesichts innenpolitischer Unsicherheiten und eines volatilen JPY vorsichtig. Angesichts der Erwartung einer breiten Verbesserung des Ertrags pro Aktie könnten Anleger mit einer mittel- bis langfristigen Perspektive mögliche Kurskorrekturen nutzen, um in branchenübergreifend hochwertige Titel einzusteigen, wobei der Fokus auf Bilanzstärke und ausgewogenem Umsatz liegen könnte. Unsere Favoriten sind zyklische Konsumgüter, IT und Banken sowie Industriewerte, da Letztere eine beträchtliche Gewichtung im MSCI Japan und eine führende globale Marktposition im florierenden Sektor der Halbleiter- und Elektrofahrzeuge haben. Kurzfristig dürften vor allem binnenorientierte, defensive Sektoren wie Basiskonsumgüter und Kommunikationsdienste weitgehend immun gegenüber einer JPY-Aufwertung sein, aber dennoch von der erwarteten Neubewertung profitieren.
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Redaktionsschluss: 03.September 2024, 15 Uhr