Eugene / Adobe Stock

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Mit einem dritten deutlichen Zinsschritt innerhalb von drei Monaten setzte die Europäische Zentralbank Ende Oktober ein deutliches Signal im Kampf gegen die hartnäckig hohen Inflationsraten im Euroraum – und folgte damit dem Beispiel der US-Notenbank Fed, deren Zinserhöhungszyklus schon bald seinen Höhepunkt erreichen könnte. Die straffe geldpolitische Trendwende beiderseits des Atlantiks scheint notwendig, dürfte mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung in den beiden Wirtschaftsräumen aber wachstumshemmend wirken. In Kombination mit den anhaltend hohen Energiepreisen vor allem in Europa und in Anbetracht hoher geopolitischer Unsicherheiten erwarte ich sowohl in den USA als auch in Europa in den kommenden Monaten eine schwächere Wachstumsdynamik, die in eine milde Rezession mündet. Eine allmähliche wirtschaftliche Belebung ist erst im zweiten Halbjahr 2023 zu erwarten.

Die Prognosen für die Entwicklung der Weltwirtschaft spiegeln diesen negativen Trend wider, allerdings auf einem höheren Niveau. Während etwa die US-Konjunktur in diesem Jahr um weniger als 2 Prozent zulegen könnte und für das kommende Jahr insgesamt noch ein Plus von weniger als 1 Prozent erwarten lässt, rechne ich global mit einem Wachstum von jeweils rund 3 Prozent. Auf der Suche nach den Wachstumszentren der Welt wird man vor allem in Asien fündig. Nicht zuletzt, weil in vielen Ländern des Kontinents derzeit kaum ein breites Inflationsproblem herrscht, was den dortigen Notenbanken mehr Spielraum geben könnte, einer globalen wirtschaftlichen Abkühlung frühzeitig entgegenzuwirken.

China, Indien, Japan: Warum Asiens Volkswirtschaften weiter wachsen können.

China: fragile Lage – verbesserter Ausblick

Den nach wie vor weltweit größten nominalen Wachstumsbeitrag liefert China. Zwar könnten vor allem die bislang rigide Null-Covid-Politik Pekings – verbunden mit Lockdown-Risiken in den Handels- und Produktionszentren des Landes –, der strauchelnde nationale Immobilienmarkt sowie die Schwäche der für China wichtigen Absatzmärkte in den USA und Europa für ein im historischen Vergleich schwaches Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) sorgen. Mit erwarteten 3,3 Prozent für 2022 liegt dieses aber immer noch über dem globalen Schnitt.

Noch entscheidender für die Weltwirtschaft ist, dass der chinesische Wachstumstrend in den kommenden Monaten anders als in den USA oder Europa nicht nach unten, sondern vielmehr nach oben zeigen dürfte. Neben einer allmählich geänderten Corona-Strategie, die nun vermehrt auf präventive Massentests setzt, sollte dazu auch der vom Staatsrat im August verabschiedete 19-Punkte-Wirtschaftsplan beitragen. Dieser sieht unter anderem umgerechnet mehr als 40 Milliarden Euro für Investitionsprojekte und knapp 30 Milliarden Euro für die Stabilisierung von Immobilienentwicklern und die Fertigstellung nicht abgeschlossener Bauprojekte vor. Insgesamt könnte das chinesische BIP-Wachstum im kommenden Jahr dadurch entgegen dem globalen Trend noch einmal anziehen, auf dann rund 5 Prozent. Zumal die in diesem Jahr bereits getätigten massiven Infrastrukturinvestitionen in Schlüsselindustrien wie erneuerbare Energie, Digitalisierung, Halbleiter und Gesundheit dann ihre volle Wirkung entfalten könnten.

Allerdings sind die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht unerheblich. Auf nationaler Ebene bedarf es vor allem einer fortgesetzten Aufweichung der nach wie vor strikten Null-Covid-Strategie. Im Angesicht der jüngsten Lockdowns etwa in Wuhan und Shanghai scheint hier noch ein steiniger Weg vor Peking zu liegen. Zudem bleibt der Immobilienmarkt ein Risikofaktor, ebenso wie der Konflikt mit Taiwan sowie die Verschlechterung der Beziehungen zu den USA und Europa. Ich halte diese Herausforderungen zwar nicht für unlösbar – Marktteilnehmer sollten sie jedoch sehr genau im Blick behalten.

Indien: weiteres dynamisches Wachstum voraus

Der zweite große Wachstumstreiber in Asien ist Indien. Nachdem dort die wirtschaftliche Aktivität zu Jahresanfang noch durch eine schwere Corona-Welle gebremst wurde, legte die gesamtwirtschaftliche Produktion danach wieder zu. Positive Stimmungsindikatoren bei Industrie-, Dienstleistungs- und Handelsunternehmen sowie ein sich verbesserndes Konsumentenvertrauen lassen eine anhaltende Dynamik erhoffen. Gestiegenen Rohstoffpreisen wirkte Indiens Regierung zeitweise durch Steuersenkungen und Exportkontrollen entgegen. Zudem sorgte ein breit angelegtes Infrastrukturprogramm für Wachstumsimpulse. Mit prognostizierten BIP-Wachstumsraten zwischen 6 und 7 Prozent für 2022 und 2023 dürfte die indische Wirtschaft nach wie vor an vorderster Front der globalen Wachstumsdynamik stehen.1

Japan: Erholung im Schatten Chinas

Mit solchen Zahlen kann das größte asiatische Industrieland zwar nicht aufwarten. Aber auch Japan zeigt, gemessen an seiner seit rund drei Jahrzehnten anhaltenden Wachstumsschwäche, derzeit eine verhalten positiv zu wertende Entwicklung. Nach einem BIP-Plus von 1,5 Prozent in diesem Jahr rechne ich für 2023 mit einem Zuwachs von 0,9 Prozent – das ist zwar nicht ausgesprochen dynamisch, liegt aber immer noch über den Prognosen etwa für die USA oder Deutschland. Treiber dieser Entwicklung sind unter anderem die von der Regierung gelockerten Corona-Einschränkungen, die auch „Nachzügler-Sektoren“ wie Tourismus und Freizeit wieder stimulieren.2 Hinzu kommt, dass der Ausbau ihrer Mehrheit bei der Oberhauswahl im Sommer 2022 die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) darin bestärkt haben dürfte, ihre wirtschaftsfreundliche Agenda voranzutreiben. Diese sieht neben mehr Lohngleichheit zunehmend auch Wachstum und Innovation vor, was sich längerfristig positiv auf die Wirtschaftsentwicklung Japans auswirken könnte.

Anlass zur Euphorie gibt die erwartete Entwicklung in den Volkswirtschaften Asiens natürlich nicht – deren Wachstumsdynamik dürfte auch im besten Fall noch weit unter den Vor-Corona-Raten liegen. Zudem ist die Region stark abhängig von den Entwicklungen in China und entsprechend betroffen von dessen Herausforderungen. Dennoch hilft der Blick über den Tellerrand beim Einordnen der derzeit zuweilen apokalyptisch anmutenden Wirtschaftsberichterstattung. Ja, es wird ein harter Winter werden – aber danach kommt auch wieder ein Frühling.

1 IWF: imf.org/en/Countries/IND; 2 sumikai.com/nachrichten-aus-japan/zahl-der-auslaender-die-nach-japan-einreisen-deutlich-gestiegen-322340/ – abgerufen jeweils am 27.10.2022, 12 Uhr

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Redaktionsschluss: 31. Oktober 2022, 15 Uhr