Starker Dollar – oder schwacher Euro?

Horten / Adobe Stock

Der Höhenflug des US-Dollar scheint kein Ende zu kennen. Gemessen am DXY-Index, der die Kursentwicklung des „Greenback“ in Relation zu einem Korb aus sechs Währungen wichtiger US-Handelspartner darstellt, wertete die Weltleitwährung seit Jahresbeginn 2022 bis Ende September rund 17 Prozent auf. Selbst im Vergleich zum britischen Pfund ist nach dessen jüngstem Absturz die Parität nicht mehr weit entfernt. Gestützt wird der US-Dollar vor allem durch die aggressiven Leitzinsanhebungen der US-Notenbank Fed sowie die weltweit steigenden wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten – bislang einmalig in der Geschichte scheint neben dem Schweizer Franken, dessen Bedeutung global gesehen vergleichsweise gering ausfällt, nur der US-Dollar Investoren derzeit das Gefühl eines „sicheren Hafens“ vermitteln zu können.

Zum einen haben die früh begonnenen deutlichen Leitzinserhöhungen der Fed zu einem spürbaren Renditevorsprung für US-Staatsanleihen und in der Folge einer steigenden Nachfrage internationaler Investoren nach US-Dollar-Investments geführt – die Verzinsung zweijähriger US-Staatsanleihen lag Ende September mit 4,1 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die ihrer deutschen Pendants mit rund 1,7 Prozent. Zum anderen befindet sich die US-Wirtschaft trotz zunehmender Rezessionssorgen noch in einer vergleichsweise guten Verfassung: Sowohl der US-Arbeitsmarkt als auch die Gewinne der US-Unternehmen entwickelten sich zuletzt robust. Während der globale Energiepreisanstieg infolge des Russland-Ukraine-Kriegs Netto-Energieimporteuren wie der Eurozone, China oder Japan stark zusetzt, verbessert er die „terms of trade“, also das Verhältnis der Preise für exportierte und importierte Güter, für Energieexportländer wie die USA. Langfristig könnten den Vereinigten Staaten aus der Stärke der eigenen Währung zwar Wettbewerbsnachteile entstehen, weil US-Exporte dadurch für die ausländischen Käufer teurer werden; zunächst einmal dürfte sie jedoch dazu beitragen, die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Für viele andere Volkswirtschaften hingegen stellt der starke US-Dollar eine Belastung dar, etwa weil Energierohstoffe meist in US-Dollar gehandelt werden und sich ihr (Import-)Preis damit zusätzlich verteuert. Zudem wächst die Schuldenlast mancher Schwellenländer, wenn sie sich in der US-Währung verschuldet haben.

Mit Blick auf den Euro/US-Dollar-Kurs dürften vor allem drei Aspekte zumindest kurzfristig weiter Druck auf die europäische Gemeinschaftswährung ausüben: die Leitzinsdifferenz zwischen den USA und der Eurozone, die für die kommenden zwei Jahre in Europa höher als in den USA erwartete Inflation sowie die aufgrund der Energiekrise unsicheren europäischen Konjunkturaussichten. Hinzu kommen ganz allgemein Unsicherheiten im Hinblick auf die geografische Nähe der Eurozone zum Russland-Ukraine-Krieg. Zuletzt verharrte der Wechselkurs nahe seinem 20-Jahres-Tief.

US-Dollar-Stärke aktuell eher stimmungsgetrieben: Was für eine Euro-Erholung im kommenden Jahr spricht.

Rückenwind könnte der Euro in naher Zukunft durch weitere Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) bekommen, zumal sich der Zinserhöhungszyklus in den USA im Frühjahr 2023 seinem Ende zuneigen könnte. Der Terminmarkt preist derzeit für September 2023 einen europäischen Leitzins in Höhe von 2,7 Prozent und einen US-Leitzins von 4,3 Prozent ein. Sollte das Ende des US-Leitzinszyklus mit einer möglichen konjunkturellen Stabilisierung im Zuge einer unterstützenden Fiskalpolitik in Europa im Frühjahr 2023 zusammenfallen, könnte das den Höhenflug des Greenback beenden und eine Trendumkehr einleiten. Die Deutsche Bank rechnet auf 12-Monats-Sicht mit einem Euro/Dollar-Kurs von 1,05.

Auf Unternehmensebene könnte ein starker US-Dollar unter ansonsten gleichbleibenden Bedingungen grundsätzlich Gegenwind für die aggregierten Gewinne am US-Aktienmarkt darstellen. Allerdings stammt bei großen US-Unternehmen nur etwa ein Drittel der Erträge aus dem Ausland. Modellrechnungen gehen davon aus, dass eine 10-prozentige Aufwertung des handelsgewichteten US-Dollar den Gewinn je Aktie großer Unternehmen um 2 bis 3 Prozent verringert. Bei kleineren Unternehmen, die nur 20 Prozent der Erträge im Ausland erzielen, dürfte der Gegenwind durch den starken US-Dollar entsprechend noch schwächer ausfallen, bei Tech-Unternehmen, die fast die Hälfte ihrer Einnahmen außerhalb der USA erwirtschaften, hingegen stärker.

Euroanleger müssen im Hinblick auf die Abwertungsrisiken rund um den Greenback bei US-Investments bis auf Weiteres mit vergleichsweise hohen Absicherungskosten kalkulieren. Im Zuge einer erwarteten Trendumkehr beim Euro/US-Dollar-Kurs könnten sich jedoch im Verlauf des kommenden Jahres wieder interessante Investmentchancen jenseits des Atlantiks eröffnen.

Bis dahin könnten die aktuell niedrig bewerteten Aktien exportstarker Unternehmen der Eurozone im Rahmen erwarteter weiterer Rücksetzer einen Blick wert sein. Die europäischen Unternehmen erwirtschaften fast 60 Prozent ihrer Einnahmen außerhalb der Eurozone, könnten also insofern zumindest teilweise vom schwachen Euro profitieren. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen ein Rückgang des Euro gegenüber dem US-Dollar um 10 Prozent die Erträge europäischer Unternehmen um 2,5 Prozent steigert.

Insofern könnten weitere Kursrücksetzer an den momentan schwankungsreichen europäischen Aktienbörsen risikobereiten Anlegern erste Einstiegsmöglichkeiten eröffnen. Sollte die Rezession diesseits des Atlantiks tatsächlich milder als erwartet ausfallen und die Konjunkturaussichten sich mittelfristig aufhellen, könnte dies die Stimmung an den europäischen Aktienmärkten in Richtung „Risk-on“ drehen. Davon könnten zunächst vor allem zyklische Titel profitieren. In der Folge sollte auch der Euro aufwerten, dessen Entwicklung in der Vergangenheit häufig mit Aktien im Allgemeinen und insbesondere zyklischen Titeln korrelierte.

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Redaktionsschluss: 04. Oktober 2022, 15 Uhr