Volkswirtschaft – 07.07.2023

Volkswirtschaft: zwischen Inflation und Asiens Dynamik

Die wichtigsten Fakten:

  • Nach dem Abklingen der jüngsten Unsicherheitsfaktoren aus den USA rückt die hohe Inflation wieder in den Mittelpunkt.
  • Die Wirtschaftstätigkeit und die Arbeitsmärkte sind nach wie vor robust, was die Wahrscheinlichkeit eines längerfristigen Leitzinsanstiegs erhöht.
  • Die Entwicklung in den Schwellenländern zeigt sich mit dem asiatisch-pazifischen Raum als Motor des globalen Wachstums im Jahr 2023 heterogen.

Quelle: tawatchai1990 / Adobe Stock

Nachdem die Besorgnis der Marktteilnehmer über den US-Banken- und Immobiliensektor sowie die Schuldenobergrenze in den USA zuletzt nachgelassen hat, richtet sich ihre Aufmerksamkeit nun wieder auf die anhaltend hohe (Kern-)Inflation. Obwohl in den vergangenen Monaten bereits Fortschritte erzielt wurden, scheint angesichts der Vielschichtigkeit des Preisdrucks in naher Zukunft eine Rückkehr zur Preisstabilität gemäß der Definition der großen Zentralbanken unwahrscheinlich. Trotz der technischen Rezession in der Eurozone sowie jüngst schwächerer Konjunkturdaten, der Straffung der Geldpolitik und restriktiver Bedingungen bleibt die Nachfrage nach Dienstleistungen solide. Die wirtschaftliche Dynamik in den meisten entwickelten Märkten zeigt wieder positivere Tendenzen. Entsprechend angespannt sind nach wie vor die Arbeitsmärkte, wenn auch in etwas geringerem Maße als zuvor. Die Beschäftigung befindet sich auf oder nahe der Rekordniveaus. Obwohl der Leitzins in den USA bereits eine Spanne von 5,00 bis 5,25 Prozent erreicht hat und sich im Eurogebiet auf die 4-Prozent-Marke zubewegt, ist das Risiko weiterer Zinserhöhungen zur Eindämmung der Inflation weiterhin hoch.

Konjunkturentwicklung: Verunsicherung weiterhin auf erhöhtem Niveau World Uncertainty Index („Welt-Unsicherheits-Index“) in Indexpunkten auf Quartalsbasis

Wir gehen daher nicht davon aus, dass die Leitzinsen noch in diesem Jahr wieder fallen werden. Angesichts des restriktiven Zinsumfelds und seiner verzögerten Wirkung auf die Konjunktur wird sich die Wirtschaftstätigkeit in der zweiten Jahreshälfte wahrscheinlich weiter abschwächen. Jedoch könnte die Konjunktur der Eurozone in den kommenden Monaten bereits wieder einen Erholungskurs einschlagen, während in den USA die Verbrauchernachfrage die Konjunktur vor einem größeren Abschwung bewahren könnte. Sobald sich diese makroökonomischen Kräfte manifestieren, dürfte die wirtschaftliche Unsicherheit unter den Marktteilnehmern abnehmen und in Verbindung mit der positiven Entwicklung der realen Haushaltseinkommen zu einer leichten Verbesserung der Wirtschaftsaussichten für 2024 führen.

Das konjunkturelle Wachstum in den Schwellenländern des asiatisch-pazifischen Raums (APAC) sollte dank der anhaltenden Erholung in China und der weiterhin dynamischen Entwicklung Indiens stärker ausfallen als in anderen Regionen der Welt. In Lateinamerika und der Region Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) wird das Wachstum dagegen durch hohe Zinsen und eine hartnäckig hohe Kerninflation sowie eine gedämpfte Nachfrage nach Rohstoffen aus den entwickelten Märkten gebremst.

Risiken auf unserem Radar

Die Geopolitik steht weiterhin im Fokus der Anleger, wobei die Spannungen zwischen den USA und China wieder verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken scheinen. Die jüngsten Sanktionen und Investitionsbeschränkungen der USA und einiger ihrer Verbündeten gegen China im Technologiesektor sowie die Diskussionen zwischen den Regierungen der G-7-Staaten über künftige Beziehungen und strategische Prioritäten belasteten die Wertentwicklung chinesischer Aktien.

„Geopolitik und Zentralbank als wichtigste Markttreiber – leichte Rezession in den USA erwartet.“

Mit Blick auf die Inflation scheint eine zusätzliche Straffung der Geldpolitik nicht ausgeschlossen und in Europa sogar wahrscheinlich, da die Teuerungsraten in den meisten Industrieländern noch immer nicht auf das von den Zentralbanken angestrebte Niveau gesunken sind. Aufgrund der restriktiven Geldpolitik könnte es zu weiter steigenden Renditen kommen, während erste Anzeichen einer sich verlangsamenden Wirtschaft auf zukünftig steigende Ausfallraten im Hochzinssegment hindeuten könnten.

Der Klimawandel war bereits im vergangenen Jahr ein bedeutender Faktor für steigende Lebensmittel- und Energiepreise: Überschwemmungen in Pakistan und Indien führten zu Ernteausfällen, ebenso wie Dürren in Südeuropa, die zusätzlich die Stromproduktion französischer Kernkraftwerke belasteten. Dürreperioden in Europa, Afrika, Nordamerika und Argentinien sowie Überschwemmungen in Südeuropa, Afrika, Australien und Malaysia könnten auch in diesem Jahr zu Ernteausfällen führen bzw. die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zur Kompensation einer möglichen Unterversorgung mit Atom- und Wasserkraft in die Höhe treiben.

Der Stress im Bankensektor, der die Märkte im ersten Quartal 2023 weltweit erschüttert hatte, hat zwar nachgelassen, die Entwicklung des Kapitals und der Einlagen bei den US-Regionalbanken und deren Engagement auf dem Markt für Gewerbeimmobilien sollten jedoch weiterhin beobachtet werden. Auch die Unsicherheiten hinsichtlich der US-Schuldenobergrenze haben sich zunächst aufgelöst. Allerdings verlagert sich das Augenmerk der Anleger nun auf die Marktliquidität, da das US-Finanzministerium plant, zur Wiederauffüllung seiner Kassen im Laufe des dritten Quartals 2023 Anleihen im Wert von etwa einer Milliarde US-Dollar zu emittieren.

Insgesamt dürfte die Schwäche des Industriesektors in den entwickelten Ländern nicht durch die Erholung im Dienstleistungssektor ausgeglichen werden können. Wir rechnen daher mit einer leichten Rezession in den USA im zweiten Halbjahr 2023.

Aktuelle Marktkommentare erhalten Sie im täglichen Newsletter „PERSPEKTIVEN am Morgen“.

Redaktionsschluss: 28.06.2023, 15.00

Es kann keine Zusicherung dahingehend abgegeben werden, dass eine Prognose oder ein Ziel erreicht werden kann. Prognosen basieren auf Annahmen, Schätzungen, Meinungen und hypothetischen Modellen oder Analysen, die sich als unzutreffend erweisen können.
Die bisherige Wertentwicklung lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu.
Die Wertentwicklung bezieht sich auf einen Nominalwert, der auf Kursgewinnen/-verlusten beruht und die Inflation nicht berücksichtigt. Die Inflation wirkt sich negativ auf die Kaufkraft dieses nominalen Geldwerts aus. Je nach aktuellem Inflationsniveau kann dies zu einem realen Wertverlust führen, selbst wenn die nominale Wertentwicklung der Anlage positiv ist.
Investitionen sind mit Risiken verbunden. Der Wert von Anlagen kann sowohl fallen als auch steigen und Sie erhalten nicht zwangsläufig zu jedem Zeitpunkt den ursprünglich angelegten Betrag zurück. Ihr Kapital ist einem Risiko ausgesetzt.