4. Juli 2025
Liebe Leserinnen und Leser,
Zollrisiken verzögern Zinssenkungen in den USA, der US-Arbeitsmarkt wirkt nur auf den ersten Blick robust, und Kapital fließt verstärkt nach Europa.
Powell in Sintra: Ohne Zollrisiken wären die Zinsen schon gefallen
Am heutigen US-Nationalfeiertag möchte US-Präsident Donald Trump den „One Big Beautiful Bill Act“ unterschreiben. Die im Gesetz enthaltenen Steuersenkungen werden den Schuldenstand der USA von rund 36,5 Billionen US-Dollar weiter treiben. Das Congressional Budget Office geht von einem Anstieg der Schuldenlast in US-Treasuries – „Debt to the Public“ – von momentan etwa 100 auf rund 160 Prozent in den kommenden 30 Jahren aus. Die Dominanz des US-Dollars wird vor diesem Hintergrund verstärkt diskutiert. Im ersten Halbjahr ist der US-Dollar so stark gefallen wie zuletzt 1973. Damals kollabierte das Bretton-Woods-System, nachdem die USA die Goldbindung des US-Dollars aufgegeben hatten. Die nächste Prüfung für das globale Währungs- und Handelssystem steht kommende Woche mit den Zollandrohungen auf dem Programm. Maroš Šefčovič, Handelskommissar der Europäischen Union (EU), traf gestern in Washington mit US-Handelsminister Howard Lutnick zusammen. Allein die bestehenden Zölle dürften verbunden mit dem schwachen US-Dollar die Inflation treiben. Die Rating-Agentur Fitch geht für das laufende Jahr sogar von vier Prozent aus. Notenbankchef Jerome Powell hatte auf dem EZB-Treffen in Sintra erklärt, dass die Fed die Zinsen ohne Zoll-Unsicherheit bereits gesenkt hätte. Der Markt erwartet fünf Zinssenkungen bis Ende 2026, womit der US-Dollar weiterhin zur Schwäche neigen dürfte.
Die US-Notenbank befindet sich in keiner komfortablen Situation: Der US-Präsident macht sich verbal für Zinssenkungen stark, da die US-Regierung in diesem Jahr gut 11,5 Billionen US-Dollar Staatsanleihen ausgeben muss – jeder Prozentpunkt Zins zählt folglich. Andererseits erhöhen Zölle und ein schwacher US-Dollar den Preisdruck.
Gleichzeitig scheint die Unsicherheit die Konjunktur zu belasten. Zwar ist der Arbeitsmarkt auf den ersten Blick nach wie vor robust, jedoch deuten andere Indikatoren eine nachlassende wirtschaftliche Dynamilk an. Die Lagerhaltung nimmt ab, die Häfen in Kalifornien sind nicht ausgelastet und die Bestellungen von Lastwagen brechen ein. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Fed nicht vor Herbst dieses Jahres die Zinsen senken wird. Dem Aktienmarkt macht all das bis dato nichts aus. Laut Bloomberg ist der S&P 500 Index in den vergangenen hundert Jahren nur drei Mal in einem Quartal mehr als zehn Prozent abgestürzt und hat diese Verluste mehr als aufgeholt. Die Anleger gucken durch die Unsicherheit hindurch und konzentrieren sich auf die am 16. Juli startende Berichtssaison, für die die Erwartungen mit 5,9 Prozent Gewinnanstieg gegenüber dem Vorjahresquartal nicht allzu ehrgeizig erscheinen.
Scheinbarer Aufschwung: die US-Arbeitslosenquote im Kontext
Die US-Arbeitslosenquote fiel im Juni unerwartet auf 4,12 Prozent. Dieser Rückgang ist jedoch weniger auf einen Beschäftigungszuwachs als auf eine geringere Erwerbsbeteiligung zurückzuführen: Die Erwerbsbevölkerung schrumpfte um 130.000 Personen, während die Bevölkerung insgesamt um 200.000 zunahm. Diese Entwicklung setzt einen Trend fort, der bereits im Mai zu beobachten war. Der Rückgang der Arbeitslosenquote ist somit statistisch verzerrt und weniger Ausdruck eines gestärkten Arbeitsmarktes als einer schwindenden Beteiligung. Besonders auffällig ist der Rückgang bei ausländischen Arbeitskräften, der auf das Ende des vorübergehenden Schutzstatus von bis zu 350.000 Venezolanern zurückgeführt wird. Scheiden diese Personen aus dem Arbeitsmarkt aus, werden sie nicht mehr als arbeitslos gezählt, was die Quote statistisch verzerrt. Gleichzeitig stieg die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit auf 23 Wochen, was auf strukturelle Schwächen hinweist. Das geringe Wachstum der privaten Beschäftigung um 74.000 sowie die rückläufige Erwerbsquote deuten auf einen stagnierenden Arbeitsmarkt hin. Vor diesem Hintergrund dürfte die US-Notenbank ihre abwartende Haltung beibehalten und eine erste Zinssenkung frühestens im Herbst 2025 vornehmen – vorausgesetzt, die Inflationsentwicklung lässt dies zu.
Kapitalflucht aus den USA: Europa profitiert
Europäische Aktienfonds haben in diesem Jahr bisher mehr als 100 Milliarden US-Dollar angezogen, während US-Fonds Abflüsse von rund 90 Milliarden US-Dollar verzeichneten. Die Gründe:
- Europas Pläne für Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben bieten eine klarere, mehrjährige Planungssicherheit, während politisch getriebene Unsicherheiten aus den USA das Planungsrisiko erhöhen.
- Europäische Vermögenswerte bleiben günstiger als ihre US-amerikanischen Pendants und bieten bei stabilem Wachstum großes Aufwärtspotenzial.
- EU-Behörden stehen unter Druck, die Regulierung zu straffen und private Investitionen zu mobilisieren, was die Unternehmerfreundlichkeit heben sollte.
Deutschland veranschaulicht diese Entwicklung: Die ausländischen Direktinvestitionen erreichten in den ersten vier Monaten des Jahres laut Bundesbank 46 Milliarden Euro – den höchsten Stand seit 2022. Die konsequente Umsetzung versprochener Reformen wird entscheidenden Einfluss darauf haben, ob die Dynamik in Europa erhalten bleibt.
„Sichere Häfen“ im Sturm der Märkte
Inmitten globaler Krisen und geopolitischer Spannungen rücken „sichere Häfen“ wieder in den Fokus. Finanzjournalistin Jessica Schwarzer und ich sprechen über Gold, Staatsanleihen, Immobilien und andere Anlageklassen, die Stabilität versprechen. Mehr dazu in der aktuellen Folge von PERSPEKTIVEN To Go – der Börsenpodcast.
Zahl des Tages: 1776 – eine Geschichte
In einem Dorf in Pennsylvania lebte Eli. Am 3. Juli 2025 summte der Ort vor Vorbereitung auf den Unabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten von Amerika. Fahnen wehten, Feuerwerk wurde gestapelt. Eli sah die Zahl 1776 überall – auf Plakaten, in Büchern, auf der Kirchenglocke. „Warum ist 1776 so besonders?“, fragte er seine Großmutter beim Kuchenbacken. „1776 trafen sich mutige Menschen in Philadelphia“, sagte sie. „Am 4. Juli unterzeichneten sie die Unabhängigkeitserklärung. So begann eine freie Nation. 1776 ist Mut und Hoffnung.“, sagte sie. „Wie ein Funke?“, fragte Eli. „Genau.“ Sie lächelte. „Er lebt in Fahnen und Liedern.“ Am 4. Juli, beim Feuerwerk, spürte Eli: 1776 war ein Versprechen von Freiheit, das weiterlebt.
Frohen Unabhängigkeitstag!
Herzlichst

Ihr Ulrich Stephan
Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden
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